Mit Rückenwind nach Brandenburg
von Moritz Spannenkrebs
am 06.07.2021
Start
Thorgau
🇩🇪 Deutschland
Ziel
Raben
🇩🇪 Deutschland
Strecke
80,49
km

Mit neuem Schneidezahn bewaffnet (ich war übrigens der allererste Kunde eines neu gegründeten Zahnarztkonglomerats) und gut ausgeruhten Oberschenkeln ging es mit Highspeed die Elbe entlang. In Vincents Fall war die hohe Geschwindigkeit auch seinen schwächelnden Bremsen geschuldet, die uns zum einen oder anderen Boxenstopp zwangen.

Wer bremst verliert - ganz nach diesem Motto zeigten uns Vincent und seine Oberschenkel an diesem Tag eine ganz besondere Performance und bahnten bei guten 25 Sachen den Weg durch den Gegenwind.

Als Mittagsstop wählten wir das Gut Göhlis vor der Stadt Riesa. Dort lockte uns ein schöner Discgolfkurs. Vor Ort mussten wir leider feststellen, dass alle Körbe (bis auf zwei) abgebaut waren und sich Ziegen und andere Bauernhoftiere am Fairway gütlich taten. Unsere Enttäuschung wandelten wir in besonders kreative Würfe auf die beiden verbliebenen Körbe um. Nach der in etwa zwanzigsten selbst erdachten Bahn, ging es dann wieder auf die Räder und wir fuhren mehr oder weniger bis in den Abend hinein durch.

Obwohl mir die Windschattenarbeit größtenteils abgenommen wurde war ich nach über 100 Kilometern mehr als froh, dass Vincent und Jared sich um die Organisation eines Schlafplatzes und das Aufstocken der Wasservorräte kümmerten. Ich wurde in desolatem Zustand zurückgelassen und durfte mich auf einer Bank beim Kochen ausruhen. In einer funktionierenden Gesellschaft wird eben auch für die Kranken und Lahmen eine passende Aufgabe gefunden...

Mit neuer Energie im Bauch radelten wir noch ein wenig weiter bis Jared einen super Platz für unser Zelt entdeckte. Mitten in einem etwa hundert Meter breiten Waldstück zwischen See (aka Großer Teich) und Tümpel legten wir uns in Ruhe schlafen.

Schlafspot bei den Wildschweinen

Kurz nach sechs Uhr war Schluss mit der Ruhe. Vincent weckte uns und machte uns darauf aufmerksam, dass wir bereits von einer etwa 20 köpfigen Wildschwein-Rotte umzingelt waren. Während die kleinen Frischlinge gerade zu knuddelig aussahen, wirkte der über hundert Kilo schwere Keiler doch eher einschüchternd. Irritiert wurde uns klar, dass unser Innenzelt wohl nur nach außen gute Sicht ermöglichte. Die Wildschweine schienen jedenfalls keine Notiz von uns zu nehmen und trotteten auf der Suche nach Futter bis auf wenige Meter an uns heran. Als wir begannen unsere Stimmen zu heben, gab der Keiler ein lautes, basshaltiges Grunzen ab. Im Gegensatz zu uns schienen alle das Kommando verstanden zu haben und so raste die gesamte Rotte im Affenzahn an uns vorbei und verschwand im Unterholz. Glücklicherweise rannte keines der Tiere in unser Tarnzelt!

Am nächsten Tag - denn sechs Uhr morgens gehört ja wohl eindeutig noch zur Nacht - rollten wir ein paar Kilometer am Ufer der Großen Teichs entlang bis zum örtlichen Freibad. Nachdem wir gekocht, uns gewaschen und die eine oder andere DIY Discgolf-Runde gespielt hatten, sprach uns ein älterer Herr mit Fahrrad an. Wie sich herausstellte war er mehrere Jahrzehnte lang für das Schwimmbad verantwortlich gewesen, genau wie sein Vater bereits vor ihm. Dementsprechend hatte er einige interessante Geschichten zu erzählen und versüßte uns somit das Abspülen, Zähneputzen und Zusammenpacken. Als wir uns wieder auf die Räder schwangen hatten wir schnell ein Grinsen im Gesicht. Was gestern Vincent leistete, bescherte uns heute der Rückenwind. So wurden die etwa 50 Kilometer bis Lutherstadt Wittenberg mit einem rekordverdächtigen Durchschnittstempo von über 23 km/h zurückgelegt. Unsere Pause verbrachten wir mit großen Federtieren - wir vermuten, dass es sich um Strauße handelte.

In Wittenberg angekommen versteckten wir uns eine ganze Weile in einem Café vor dem Regen. Besonderes Highlight hier: Endlich wurde beim Skaten die erste Ramsch-Runde gespielt!

Um unsere kulturellen Ansprüche zu befriedigen drehten wir natürlich noch eine Runde zur Kirchentür an welche Martin Luther vor 500 Jahren seine Thesen nagelte. Entgegen unserer Erwartung (die über gute 50 km durch Straßenschilder geschürt wurde) fanden wir dort recht wenig vor. Keine Menschenseele schien sich für die schlichte Messingtüre zu interessieren und so zogen auch wir weiter.

Einige Kilometer weiter gab uns eine Einheimische noch einen Tipp zur Orientierung: “Wenn ihr in Brandenburg seid merkt ihr dit direkt an den Radwegen!“. So war es tatsächlich und wir atmeten ordentlich auf, als wir von der sächsischen Huppelpiste auf brandenburgischen Qualitätsasphalt rollten. Unseren Traumschlafplatz fanden wir in Rabenstein. Von Bäumen geschützte Bänke mit Tischen, ein riesiger Spielplatz, ein Pavillon und Brandenburg WLAN lieferten das perfekte Material für einen entspannenden Abend mitsamt EM-Halbfinale Italien-Spanien.

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