Nachtfahrt
von Moritz Spannenkrebs
am 01.08.2021
Start
Riga
🇱🇻 Lettland
Ziel
Svetciems
🇱🇻 Lettland
Strecke
105,25
km

Gut ausgeruht und mit frisch gewaschener Kleidung ging es heute endlich mal wieder an die Ostseeküste. Wir freuten uns sehr auf das Meer und radelten gut gelaunt los. Beim Weg aus Riga heraus begegneten wir vielen Radlern, die rund um die Stadt auf den guten Radwegen unterwegs waren. Unter anderem überholten wir eine junge finnische Familien mit zwei Kindern. Allesamt waren in höchst sportliche Fahrradkleidung gehüllt und sahen auch sonst recht windschnittig aus. Beim Überholvorgang wurde mir zur Begrüßung erstmal kommentarlos eine Smartphone-Linse vor die Nase gehalten. Etwas perplex schaute ich den Mann hinter der Linse etwas grimmig an. Schließlich begann er uns mit aufgeregtem finnischem Akzent anzusprechen und fragte uns über die Tour aus. Nachdem wir uns ein wenig unterhalten hatten, beschleunigten wir wieder und fuhren davon. Etwa eine Minute später kam plötzlich ein Rad mit Highspeed von der Seite an Jared heran gerauscht. Der Kameramann hatte wohl noch nicht genug und begann jetzt Jared zu filmen und erneut in etwa dieselben Fragen zu stellen. Nachdem wir das Verhör überstanden hatten, packte er sein Handy weg und erklärte, er sei Fotograf und Fahrrad-Influencer. Wir gaben ihm schließlich unser Einverständnis, das ganze in seiner Instagram-Story zu teilen und fuhren nun endgültig weiter. Bei der späteren Begutachtung konnte ich befriedigt feststellen, dass mein grimmiger Blick nicht den Weg ins Internet gefunden hatte. Jared ist eben der bessere Insta-Boy!

Etwa 25 Kilometer hinter Riga machten wir unsere erste Pause. Von unserem Radweg führte eine kleine Straße direkt auf einen breiten Sandstrand mit vielen Bänken. Dort kochten wir unser geheimes Spezialgericht (Nudeln mit Pesto) und tranken ordentlich Kaffee. Gut gelaunt ging es direkt weiter auf den Radweg… jedenfalls dachten wir es gäbe einen Radweg! Tatsächlich rollten wir ein paar hundert Meter über einen Holzsteg (sehr zu unserer Freude), um an dessen Ende nur Sand anzutreffen (nicht so sehr zu unserer Freude). Laut Karte sollte es etwa acht Kilometer auf den sandigen Pisten weitergehen. Diese zogen sich quer durch den Wald und waren normalerweise wohl nur von Mountainbikern und Moto-Cross befahren. Beim Versuch, dieser Misere zu entgehen, beschlossen wir, den ausgeschilderten „Weg“ zu verlassen und auf der anderen Seite der Eisenbahngleise eine Alternative zu finden. Tatsächlich wartete dort leider noch tieferer Sand, den nun auch keine Mountainbikes mehr befahren konnten. Also war für uns Schieben angesagt. Etwa eine halbe Stunde kämpften wir uns über die Piste bis wir über die Einfahrt eines Häuschens von hinten wieder auf die Straße kamen. Von da an war der Weg wieder wirklich hervorragend und abwechslungsreich. Nach etwa 50 Tageskilometern mussten wir leider am Rande der großen Bundesstraße bzw. Autobahn weiterfahren. Auf entsprechend gutem Asphalt ging es immerhin gut voran und wir kamen am frühen Abend nach Dunte. Hier wurden wir überrascht von einem Motto-Park, in welchem der Baron von Münchhausen die Hauptrolle spielt. Für alle, die nicht sofort die richtige Assoziation haben: Das war der Mann, der nach eigenen Angaben auf Kanonenkugeln reiten konnte (siehe Foto) und achtbeinigen Hasen hinterher jagte. Der Park bestand aus einigen Museumsgebäuden, einem kleinen See, einem Holzpfad durch das angrenzende Naturschutzgebiet und einer großen Gartenfläche mit vielen Bänken. Natürlich bekamen wir sofort große Augen und sahen uns in Gedanken schon auf drei der gemütlichen, überdachten Bänke schlafen. Eine Mitarbeiterin des Parks riet uns leider scharf davon ab. Auch die Kontaktaufnahme mit den Parkbesitzern, welche nur ein paar Häuser weiter wohnten, wollte sie uns nicht guten Gewissens empfehlen. Wir beschlossen, die Bänke trotzdem zum Kochen zu nutzen und das Problem des Schlafplatzes auf die weniger von Hunger geplagte Zeit nach dem Essen zu verschieben.

Mit Unmengen Linsenbolognese im Bauch packten wir wieder langsam unser Zeug zusammen und setzten uns auf die Räder. Es war bereits nach 23:00 und wir wollten nur noch ein paar hundert Meter bis zur nächsten Zeltmöglichkeit rollen. Tatsächlich erfreuten wir uns am Radeln wieder so sehr, dass wir direkt beschlossen, noch ein wenig weiter zu fahren. Mit Fahrradlichtern, Stirnlampen und Reflektoren bewaffnet ging es wieder auf den Randstreifen der Autobahn. Jared fiel dabei die wichtige und verantwortungsvolle Rolle des LKW-Frühwarnsystems zu. Einmal Klingeln bedeutete: „Runter von der Straße und auf dem Geröll neben dem Asphalt weiter fahren!“. Zweimal Klingeln bedeutete: „Bahn frei, zurück auf die Straße!“. Mit diesem System kamen wir gut voran und hatten immer einige Meter Sicherheitsabstand zu den überholenden Fahrzeugen. Insgesamt war es super angenehm, bei Nacht zu fahren. Keine Sonne brannte auf unsere Köpfe, der Wind hatte abgenommen und es gab viel weniger Verkehr. Nach etwa zwei Stunden hatten wir weitere 45 Kilometer abgespult und waren dann doch etwas müde. Etwas abseits von der Hauptstraße hatten wir auf der Karte einen Campingplatz ausgemacht. Mittlerweile hing tiefer Nebel über dem Boden. Dementsprechend fuhren wir bei totaler Dunkelheit durch die Felder in einen Wald hinein, wo wir nach einer ebenen Stelle für unser Zelt suchten. Glücklicherweise hatten unsere Stirnlampen ordentlich Power (danke Papa!) und wir wurden fündig. Der Campingplatz war eher eine Ansammlung von wild zwischen den Bäumen verteilten Bänken, neben denen man Platz für ein Zelt hatte. Außer uns war niemand da und so fühlten wir uns fast wie beim Wildcampen. Als ich im Nebel, die engen Bäume nur beleuchtet vom Schein der Taschenlampe, auf die Suche nach dem Toilettenhäuschen war, fühlte ich mich fast wie im Setting eines Horrorfilms. Die plötzliche Beleuchtung des Häuschens durch den Bewegungsmelder jagte mir dann endgültig einen Schrecken ein. Naja, wenn man übermüdet durch den Wald irrt…

Eine erholsame Nacht später packten wir gerade unser Zeug zusammen und Jared wollte noch ein paar Bilder mit der Drohne machen. Da kamen der Besitzer des Campingplatzes und seine Frau zu uns und er sprach uns direkt an. Er erklärte uns, dass der Platz durchaus nicht umsonst sei und bat uns um fünf Euro pro Nase. Außerdem merkte er an, dass das Fliegen von Drohnen in Lettland verboten sei und man dafür einen Führerschein bräuchte. Upps!

Nachdem wir ihm Geld überwiesen hatten (Bargeld hatten wir kaum noch) wurde die Stimmung entspannter und er interessierte sich für unsere Tour. Schließlich gab er uns noch ein paar Empfehlungen für die weitere Route und wir wünschten uns gegenseitig einen schönen Tag.

Weiter ging die Strecke in Richtung der estnischen Grenze. Leider mussten wir uns wieder über einige Sandpisten kämpfen, kamen dann aber schließlich wieder auf die Autobahn. Am Rande der Straße machten wir hier den Fund des Tages: Eine kleine Krone, die wie perfekt auf Jareds Vorderlicht passte und ihm und seinem Rad den gewissen royalen Flair verlier. Nach einer guten Stunde auf den Sätteln, machten wir eine kurze Pause an einer Tankstelle. Während Vincent sich nach estnischen SIM-Karten erkundigte, hatten Jared und ich mal wieder nur Augen für die feilgebotenen Veggie-Burger. Ohne Karte aber dafür mit einem wohligen Gefühl im Bauch fuhren wir nun weiter auf einer schönen kleinen Nebenstraße, die etwa hundert Meter von der Küste entfernt verlief. Hier überquerten wir die Grenze nach Estland.

Im ersten Dorf direkt hinter der Grenze machten wir unsere Mittagspause in einer Überdachung am Rande des „Busbahnhofs“. Während Jared und ich in Windeseile unsere jeweils fünf Rühreier verschlangen, kam ein weiterer Radreisender auf uns zu. Wir erkannten schon von weitem, dass sein Rad und auch seine sonstige Ausstattung nicht gerade im Optimalzustand waren. Das Rad musste geschoben werden und machte dennoch bedenkliche Geräusche. Er setzte sich zu uns und erzählte uns von seiner Misere, während sein Handy von Jareds Powerbank vollgepumpt wurde. Er war auch auf einer Tour in Richtung Tallinn, aber sein Fahrrad hatte leider an mehreren Stellen kapituliert. Meine Schnelldiagnose ergab, dass auch unser Werkzeug hier nicht viel würde ausrichten können. Vermutlich waren sowohl das Tretlager, als auch die zugehörige Kurbel gebrochen und somit irreparabel. Er war nun hier gestrandet und wollte mit dem Bus zurück nach Riga. Zu seinem Pech wollte ihn der letzte Busfahrer nicht mitnehmen ohne einen Aufpreis von fünf Euro für das Fahrrad. So viel Bargeld hatte unsere Kollege leider nicht mehr dabei. Dank Powerbank konnte er zumindest seine Tante anrufen, die ihm noch etwas Geld für die Weiterfahrt von Riga nach Vilnius überwies.

Für den Bus nach Riga kratzten wir noch unser Kleingeld zusammen und kamen somit gerade auf fünf Euro. Nachdem wir gegessen und im angrenzenden Laden eingekauft hatten, rollten wir weiter und ließen den gestrandeten Radler mit dem Kleingeld, gefüllten Trinkfaschen und vollem Akku zurück. Hoffentlich hat ihn der nächste Bus mitgenommen!

Das royale Ross.

Kaum fünf Kilometer hinter der Grenze trafen wir direkt auf den ersten estnischen Diskgolfkurs. Eine vorangegangene Analyse hatte gezeigt, dass das Werfen von Scheiben hier wohl keine Randsportart ist, sondern eher zum Alltag gehören muss.

Gut gelaunt pedalierten wir weiter entlang der schönen kleinen Straße, an die traumhaft schöne Häusern direkt am Meer grenzten. Hier waren seit langem auch wieder einige Autos deutscher Touristen zu sehen. Vor allem oftmals selbstgebastelte Campingbusse waren viele zu sehen.

Da wir gestern über 100 Kilometer gefahren waren, stellte sich heute bereits nach gut 50 Kilometer eine gewisse Zufriedenheit ein. Deshalb beschlossen wir eine der zahlreichen, kostenlos öffentlich zugänglichen Grill- und Zeltstellen anzusteuern. Da es noch früh war, wollten wir uns ein etwas aufwendigeres Mahl über dem Feuer zubereiten. In einem Supermarkt fanden wir alles, was unsere Herzen begehrten und wir rollten gut gelaunt zur Grillstelle. Zu unserer Freude fanden wir nicht nur einen hervorragenden Grill, ein hygienisches Toilettenhäuschen und eine schöne Bank, sondern sogar eine kleine Hütte mit kostenlosem Feuerholz. Davor war ein witziger Holzspalter mitsamt Gebrauchsanleitung. Während Jared den Grill anfeuerte begannen Vincent und ich mit der Zubereitung des Festmahls. Dieses bestand aus einer gefüllten Sardine, jeder Menge Grillgemüse, ein paar Grillwürsten, gebratener Süßkartoffel, einigen gerösteten Fladenbroten und einem großen Pita. Serviert wurde das ganze mit Ketchup und einem Mojito-Radler mit extra Minze. Nachdem wir gegessen und am Lagerfeuer Gitarre gespielt hatten, gingen wir mit vollem Bauch und guter Laune ins Zelt.

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