Kulturhauptstadt Kaunas
von Moritz Spannenkrebs
am 26.07.2021
Start
Veiveriai
🇱🇹 Litauen
Ziel
Kaunas
🇱🇹 Litauen
Strecke
30,84
km

Mit der ersten deutschen Olympiamedaille im Rücken radelten wir top motiviert los. Etwa 10 Meter weit - bis uns klar wurde, dass wir nach wie vor in den unendlichen Weiten litauischer Sandwege steckten. Also kämpften wir uns langsam aber sicher über das Geröll und konzentrierten uns darauf, die am besten verdichtete Route zu finden. Nur nicht einsinken!

Unser erstes Ziel in Litauen sollte Kaunas sein, was etwa 100 Kilometer von der Grenze entfernt liegt. Dementsprechend wollten wir heute möglichst nah an die Stadt ran, so dass wir am nächsten Tag dort Wäsche waschen und einige Stunden zur Stadtbesichtigung nutzen könnten. Leider verbesserten sich die Straßenverhältnisse den ganzen Tag über nicht wirklich. Wir hatten immer die Wahl zwischen asphaltierten aber stark befahrenen Autobahnen und den Schotter- und Sandpisten, die einen auf Dauer wahnsinnig machen.

In einem kleinen Dorf gingen wir einkaufen und konnten unsere ersten Versuche machen, uns auf Litauisch zu verständigen. Tatsächlich wurde ich meist nur seltsam angeschaut, wenn ich jemanden mit „Laba diena“ begrüßte und wechselte jedesmal schnell verlegen zu Englisch und schließlich zu wilder Zeichensprache. In dem kleinen Laden gab es eine exquisite Auswahl an Dosenfleisch, Dosenwurst und Dosenfisch. Zutaten für eine Tomatensoße oder einen Nudelsalat konnten wir dagegen nirgends finden, also entschieden wir uns mal wieder für das gute alte Käsebrot.

Die Sonne brutzelte bereits ordentlich und ich war mal wieder froh, die 50er Sonnencreme eingepackt zu haben. Unsere Mittagspause verbrachten wir auf dem Grundstück einer kleinen Ferienanlage, deren Besitzer uns auf der Bank essen und Kaffee kochen lies. Hinterher ging es weiter durch die Hitze. Jared schützte seinen Kopf mal wieder mit seinem schicken Sonnenhut, während ich auf mein Handtuch zurückgreifen musste. Unter den Helm geklemmt, waren damit mein Kopf, Nacken und meine Schultern hervorragend geschützt!

Bei den anstrengenden Straßen- und Wetterbedingungen waren wir gegen Abend bereits relativ früh platt. Glücklicherweise fanden wir einen super Platz an einem kleinen See, wo es sich noch die eine oder andere Abendstunde aushalten ließ. Wir nutzten den schönen Spot unter anderen zum schwimmen und für ein paar Runden Discgolf auf Strommasten. Wir waren mittlerweile deutlich besser in der Risikovermeidung und mussten die Frisbee nur zehn Minuten im hohen Gras suchen, mit gemeinsamer Anstrengung aus dem Sumpf fischen und zwischen den Ären eines Weizenfelds ausfindig machen. Außerdem konnte ich nur knapp verhindern, dass die Motorhaube eines angrenzend parkenden 3er BMW zerbeult wird. Naja, wir arbeiten weiter daran!

Am nächsten Morgen brauchten wir mal wieder eine Weile, um in die Gänge zu kommen. Dafür waren wir top motiviert die große Straße möglichst schnell hinter uns zu bringen und nach Kaunas einzufahren. Nach etwa 20 Kilometern passierten wir das Ortsschild, mussten aber trotzdem noch gute 10 km weiter fahren, um die Innenstadt zu erreichen. Für seine Größe ist Kaunas wirklich ausgedehnt, was auch daran liegt, dass es keine richtige Kernstadt mit hohen Häusern gibt.

Dafür gibt es aber eine sehr schöne Altstadt, welche sich durch enge Gassen und einen ganz speziellen Charme auszeichnet. Viele der Häuser sind zwar in eher desolatem Zustand und auch die Straßen und Wege machen nicht gerade den neusten Eindruck. Doch genau dadurch kommt die besondere Stimmung zustande. Auf dem Markplatz lernten wir, dass Kaunas für 2022 zur Kulturhauptstadt der EU gewählt wurde. Als Vorbereitung darauf gab es viele Baustellen, wovon leider auch die „Vilnius gatvė“, so etwas wie die Champs-Élysées von Kaunas, betroffen war.

Während Jared im Waschsalon war und unser Gepäck bewachte, machten Vincent und ich einen Ausflug zum „Army Shop“, wo wir Kartuschen für unseren Kocher kaufen wollten. Schon bei der Anfahrt an das Gebäude fühlten wir uns unwillkürlich in ein Videospiel versetzt. Wir überlegten uns noch kurz, ob dieses Gebäude möglicherweise nur für Mitglieder lokaler Milizen zugänglich war. Schließlich fassten wir unseren Mut und gingen hinein. Tatsächlich gab es in diesem Laden alles, was sich ein Mafiaboss für einen ausgewachsenen Bandenkrieg wünschen könnte. Während wir noch die Panzergarage suchten, entdeckten wir die Schraubkartuschen. Also ließen wir sämtliche Schusswaffen, Armbrüste und Messer links liegen und bezahlten schnell.

Unser nächster Stop sollte die Filiale eines litauischen Mobilfunkanbieters sein. Tatsächlich stellte sich das Gebäude eher als die Konzernzentrale des selben heraus.

Vincent ließ sich davon nicht irritieren und ging mutig in das große Gebäude hinein, während ich im Schatten auf die Räder aufpasste. Nach etwa 10 Minuten kam Vincent zu meiner Überraschung mit einer neuen Simkarte und breitem Grinsen im Gesicht zurück und begann sofort, sein Handy umzurüsten. Tatsächlich hatten wir nun für gerade mal 2,50 Euro eine komplett Flatrate innerhalb von Litauen. So viel zur Digitalisierung in anderen europäischen Staaten…

Mit frischen Kartuschen, frischer Wäsche und frischem Internet bewaffnet, radelten wir zu unserem Nachtquartier. Dieses war eine Pilgerherberge und lag so schön, wie man es sich nur wünschen konnte. Direkt zwischen dem alten Schloss und dem Unabhängigkeitsplatz befand sich das schöne alte Eckgebäude. Für alle, die einfach und günstig übernachten wollen eine absolute Empfehlung!

Jared nutzte das gemütliche Bett zur Entspannung, während Vincent und ich eine Tour durch die Stadt machten. In der Touristeninformation wurde uns unter anderem ein Gebäudeinnenhof empfohlen, welcher einem Anwohner als Straßenkunst-Atelier diente. Der Weg dahin zog sich quer durch die Altstadt, wo sich ein Fotomotiv nach dem anderen bot. Der Innenhof selbst war umringt von Gebäuden, welche vor dem zweiten Weltkrieg noch von jüdischen Familien bewohnt waren. Der Künstler hatte viele Bilder der ehemaligen Bewohner in seine Kunstwerke einfließen lassen. Insgesamt erinnerte der Hof an eine etwas wildere und heruntergekommenere Version der Kunsthofpassage in Dresden. Besonders auffällig war, dass auch in diesem recht linken Millieu eine litauische Flagge zu finden war. Wir grübelten noch eine ganze Weile, wie wohl in so einem kleinen Land das Verhältnis zum Nationalstaat war.

Beim Rückweg zur Herberge fanden wir eine kleine Bar für Craft-Beer (How Doc). Dort trafen wir uns wieder mit Jared und genossen sehr leckere Ziegenkäse-Burger mit Rucola und Honig. Dazu probierten wir uns quer durch die Bier-Auswahl und waren beeindruckt vom Fachwissen der Wirtin. Total überfordert von den Fachtermini der unterschiedlichen Aromen, bestellte ich letzten Endes irgendetwas und bekam ein leckeres Bier.

Den Abend ließen Jared und Vincent in unserem Zimmer mit den Olympischen Spielen ausklingen. Ich machte noch einen längeren Spaziergang während ich telefonierte und erfreute mich nochmals an der schönen Altstadt von Kaunas.

Am nächsten Morgen nutzten wir noch den kleinen Speisesaal mit Küche zum Frühstück und machten uns auf den Weg in Richtung Ukmergė.

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