Goodbye Green Velo, Goodbye Poland
von Vincent Kliem
am 24.07.2021
Start
Jablonskie
🇵🇱 Polen
Ziel
Papiliakaniai
🇱🇹 Litauen
Strecke
74,81
km

Nach den letzten zwei Tagen brummte uns gehörig der Schädel vom reichhaltigen kulturellen Input und vom Entziffern von hunderten alten Dokumenten. Deshalb sollen die nächsten Tage vornehmlich unsere Beine beansprucht werden. Im Hinblick auf unser Ziel Tallin hieß es wieder ordentlich Strecke zu machen.

Nach Müsli und Kaffee in unserer kleinen Hütten ging es ab auf die Räder und weiter am Green Velo entlang. Der Green Velo ist wirklich die ideale Möglichkeit um EU-Skeptikern zu zeigen, für welche genialen Zwecke EU-Gelder eingesetzt werden. Der Green Velo führt über Feldwege und asphaltierte Straßen durch Wälder und Wiesen. Wir fuhren durch immer weniger dicht besiedelte Gebiete und so konnten wir uns von den Reizen der letzten Tage gut erholen.

Mittags machten wir Pause an einem kleinen See. Nachdem wir die Fahrräder und uns geputzt hatten, entdeckten wir beim Baden einige schöne Fische im Wasser. Es machte sich bezahlt, dass ich meine 2,99€-Billo-Chlorbrille, die ich in Passau gekauft hatte, um ein paar Bahnen im Freibad zu schwimmen, seit fast 2000km mit mir rumschleppe. Bewaffnet mit Brille und GoPro versuchten wir uns mit den Flussbarschen anzufreunden.

Das Highlight des Green Velos sind die sogenannten MORs, wobei wir immer noch keine Idee haben, wofür diese Abkürzung steht. Uns war schon öfters auf den Radschildern diese Abkürzung aufgefallen. Wir brauchten aber zwei Tage, um die grandiosen (meist überdachten) Pausenhütten, mit den Schildern in Verbindung zu bringen. Ein Standard MOR ist ausgestattet mit einer überdachten Bank, Fahrradständern und einem (meist gut benutzbaren) Plumpsklo. Oft findet man auch einen kleinen Flecken grün für ein Zelt.

So freuten wir uns in den Abendstunden sehr, als ein Schild den nächsten MOR in Aussicht stellte. Wir hatten uns mit allen Zutaten für ein Risotto bewaffnet und wollten am MOR kochen und nächtigen. Leider machte uns die ansässige Dorfjugend, die die Vorzüge eines MOR wohl auch zu schätzen gelernt hatten, einen Strich durch die Rechnung. In der Hoffnung, dass in den späteren Stunden noch ein wenig Nachtruhe einkehren möge, fingen wir an zu kochen und kamen (mit Hilfe von Google Translate) mit den jungen Polen ins (Schreib-)gespräch.

Gut genährt machten wir uns (bereits im Dunkeln) auf die Suche nach einem ruhigen Schlafplatz. Und der Green Velo gab uns mehr als das:

Premium-MOR

Da es schon relativ spät war, hatten wir die abendliche Mückenflut (meist gegen 21 Uhr) schon hinter uns und konnten ohne Zelt unter dem gigantischen Dach schlafen. Jeder vernünftige Mensch würde sich wahrscheinlich über die netten Blumen, die Tischdecke oder die Feuerstelle freuen. Wir eskalierten aber völlig als wir die zwei Steckdosen in der Ecke entdeckten. Sofort wurde nach empfohlener Priorisierung der ständigen Ladekommission (Jared) geladen. Priorität 1: Powerbank und iPad, Priorität 2: Drohnenakkus. Am Morgen wurde die Priorisierung aufgehoben und es durften sogar Handys laden, die nicht dem Navigationszweck dienen.

Monument am Dreiländereck

Nach dem Frühstück ging es weiter in Richtung litauischer Grenze. Bevor wir die Grenze überquerten machten wir einen kleinen Abstecher zum Dreiländereck: Russland-Polen-Litauen. Nachdem wir die letzten Tage das Gebiet um Kaliningrad umfahren mussten, waren wir schon von der russischen Einreisepolitik latent genervt. Aber hier setzte Russland auf absurde Weise noch einen drauf:

Am Dreiländereck gibt es ein kleines Monument, um das man eigentlich herumlaufen kann und dabei durch drei Länder läuft. Das russische Viertel war allerdings eingezäunt. Hinter dem Monument zog sich ein mehrfach gesicherter und Kamera überwachter Grenzstreifen durch die Landschaft inklusive Foto-Verbotsschilder. Wir kamen mit einem netten Polen ins Gespräch, der uns erzählte, dass die Zäune am Monument erst vor einigen Jahren errichtet wurden. Es wurden wohl schon übereifrige Touristen, die sich auf die andere Seite wagten, aufgegriffen und zu einer Geldstrafe von etwa 500€ verdonnert. Wir ließen es uns trotzdem nicht nehmen einen Schritt über die Grenze zu wagen. Wie befremdlich… Naja, die EU (und der Schengenraum) sind doch wirklich was ganz feines.

Zelt mit morgendlichem Sonnenschutz

Wir fuhren auf polnischer Seite noch ein Stückchen weiter. Bei einer Einkaufspause trafen wir eine ganzes Feld von Gravelbike-Fahrern, die augenscheinlich an einem Rennen teilnahmen. Aus dem Erschöpfungszustand der Fahrer und der Qualität der Ausrüstung folgerten wir, dass das Rennen nicht ganz ohne sein muss und tatsächlich recherchierten wir, dass es sich hierbei um ein Crosscountryrennen über 200km/500km handelt. Im Gespräch erfuhr Jared, dass einige der Fahrer garnicht schlafen, andere wiederum hatten auch ein Zelt dabei. Auf jeden Fall ist die knapp bemessene Karenzzeit von 72h einzuhalten. Wie wir da wohl mit unseren bepackten Eseln so performen würden?

Dass wir irgendwann in Litauen waren, merkten wir nur beim Blick auf die Karte und auf die Uhr (+1 Stunde).

Nach einigen Kilometern Feldweg kamen wir in den ersten kleineren Ort. Hier machte sich der Unterschied zu Polen doch deutlich, da das Dorf fast nur aus Holzhäusern bestand. Leider wurde hinter dem Ort die Straße katastrophal schlecht, so dass wir bald unser Nachtlager an einem Feldrand aufschlugen. Zum Abendessen gab es Fallafeln mit Reis und selbst gebackenem Brot. Mit vollen Bäuchen ging es ins Zelt für unsere erste Nacht in Litauen.

Am Morgen gönnten wir uns eine Runde Olympia auf dem Acker. Dank 4G und iPad konnten wir mitten in der Pampa voller Enthusiasmus die erste deutsche Medaille im 3-Meter-Synchronspringen verfolgen.

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