Pesto?
von Jared Faißt
am 25.05.2021
Start
Paestum
🇮🇹 Italien
Ziel
Salerno
🇮🇹 Italien
Strecke
45,54
km

Nachdem wir eine anstrengende Fahrt nach Agropoli hinter uns hatten, war es am nächsten morgen schon garnicht mehr weit bis Paestum.

Vor 3 Wochen hat uns Albrecht (Vincents Papa) wärmstens epfohlen, dort vorbeizuschauen. Kathas Verdacht, dass sich dahinter eine Pilgerreise der Pesto-Verrückten verbirgt war schnell verflogen als wir die Tempelruinen erblickten. Glücklicherweise bot uns Albrecht sogar eine Direktverbindung zu einem Audioguide an (seine Handynummer) und so waren wir bestens aufgehoben. Als er uns schließlich willkommen hieß im antiken Griechenland war ich kurzzeitig verwirrt, ob Vincent seinem Papa das richtig erklärt hatte mit dem Routenplan unserer Radreise. Schnell stellte sich heraus, dass jedoch unsere unzureichende Bildung das Manko darstellte und tatsächlich die Griechen um ca. 500 v. Chr. diese Kolonie erbauten. Unsere mobile Wissensquelle lockte schließlich tatsächlich sogar weitere Wissensdurstige an und so fragte schließlich ein älteres Paar, wo man denn diese Audiodatei herbekommt. Da mussten wir lachend Albrecht kurz unterbrechen, aber luden sie schließlich ein, einfach mitzulauschen. So versammelten wir uns zu fünft um ein auf laut gestelltes Telefon herum und lernten eine ganze Menge, von uraltem Honig, über Steinbauwerke, die eigentlich vom Holzbau inspiriert sind und von der speziellen Art der Säulen, die ihre dickste Stelle garnicht direkt unten haben sondern knapp über dem Auflagepunkt am Boden.

Als Albrecht fragte, an was uns diese Form der Säulen erinnert, ist mir direkt eigentlich nur der klassische Baobab Baum auf Madagaskar eingefallen, aber bevor ich es aussprach dachte ich mir schon, dass das sicher nicht die Lösung griechisch-römischer Kulturfragen ist. Tatsächlich sind es wohl die menschlichen Muskeln, die als Inspirationsquelle dienten, um dem Gebäude eine gewisse Kraftausstrahlung zu geben. Schließlich sind Muskeln auch nicht am dicksten direkt am Ansatz sondern erst kurz dahinter. Diese Theorie musste dann erst einmal mit den frisch aufgepumpten Radlerwaden abgeglichen werden und tatsächlich: Meine Wade schien hier wohl direkt als Vorlage gedient zu haben. (siehe Foto)

Albrecht führte uns weiter durch die Ruinenstätte und erzählte uns von einer antiken Schwimmanlage mit Taucher-Parkour und der Basilica in Paestum, nicht zu verwechseln mit Basilikum im Pesto! Kurze Frage in die Heimat an dieser Stelle: Wie macht letzteres sich auf unserem Balkon, Lisa? ;-)

Oben: Basilica in Paestum, Unten: Basilikum im Pesto

Wir verließen anschließend die archeologische Pilgerstätte und machten uns auf zu einer weiteren Pilgerstätte, und zwar die der Amateurabenteurer: Decathlon! Schließlich musste dringend für Ersatzgas gesorgt werden und wir wurden absolut nirgendwo sonst fündig. Ein paar Dreck- und Schotterpisten Richtung Landesinnere und schon erstrahlte der quaderförmige Koloss in seiner vollen Pracht. Leider war dann die Auswahl bei den Kochern eher mäßig und hauptsächlich gab es Steck-kartuschen mitsamt klobigen Herd-artigen Gerätschaften. Wir bekamen zum Glück doch noch Schraubkartuschen, wenn auch kleine, aber wurden auf der Suche nach einem weiteren Ersatzkocher nicht fündig. Die Ineffizienz des Aufschraubkochers wird nun mit Masse an Gas kompensiert und bringt uns hoffentlich über die nächste Woche. Außerdem wurden noch Sonnenbrillen upgedated, der verlorene Fahrradhelm von Vincent ersetzt und Katha (leicht unfreiwillig für das stylische Gravelbike) mit einem Fahrradständer beglückt.

Waschaction im B&B

Die Route führte uns so langsam in dicht besiedeltes Gebiet, was die Suche nach wilden Schlafplätzen erschwerte. In der Metropolregion Salerno suchten wir deshalb nach einem B&B mit Waschmöglichkeit. Auf Papier wurden wir auch fündig (sogar mit Trockner) und buchten die Unterkunft, jedoch stellte sich dann in der Gebärdensprache-artigen Konversation mit dem rein italienisch sprechenden Hausherren heraus, dass es wohl doch keine Waschmaschine gibt. Kurzerhand wurde eben klassisch per Hand gewaschen, mit dem Waschbecken als Einweichstation in Waschmittel und dem Fußwaschbecken als Scheuer- und Auswringstation. Anschließend wurde der gesamte Balkon mit unseren Kleidungsstücken vollgehängt, jedoch wurde die Wäsche über Nacht nicht so ganz trocken. Immerhin erwartet uns morgen die wunderschöne Amalfi-Küste mitsamt Sonnenschein, da wird man die Wäsche schon noch irgendwo mal kurz raushängen können.

Abschließend darf ich hier noch ein Novum auf unserem Blog vorstellen, ein Gastbeitrag! Und zwar direkt von unserem wahnsinnig kompetenten Audio Guide Albrecht Kliem:

Unser Audioguide vor dem Hera II Tempel

Gastbeitrag: Paestum - Einhalt auf dem Weg nach Norden

Im Jahre 1958 kamen schon der Großvater und die Großmutter eines der Radler an diesen unglaublichen Ort. Auch sie waren von Süden - von Sizilien kommend - nach Norden unterwegs und machten hier mit einer Studentengruppe Halt. An einem Ort der Antikenbegeisterung. Die Begeisterung übertrug sich auf den Gastautor dieses Blogeintrags, einen Sohn des Großvaters. Denn dieser führte mich 1987 bei einem Tagesausflug aus Rom an diesen unglaublichen Ort. Nun habe ich selbst mich sehr gefreut, den drei Radlern, darunter meinem Sohn, heute etwas zu den Tempeln in Paestum weitergeben und zu Gehör bringen zu können. Ja zu Gehör bringen! Die Leser dieses Richtung-Norden-Blogs wissen, dass Hightech die drei technikaffinen Radler auf allen Wegen begleitet - abgesehen von Gaskocherkatuschenproblemlösungen. Wenn spektakuläre Drohnenbegleitflüge an sensationellen Küstenstraßen möglich sind, warum nicht auch klassische und sogar interaktiv bildende Audioguides: So durfte ich heute also mit in Paestum sein. Es war mein siebter Besuch dort. Inzwischen habe ich auf Studienreisen Schüler und auch Kollegen geführt. Diesmal war ich für die drei Radler am lautgestellten Handy direkt vor dem Hera II Tempel präsent.

Hier die Kurzform des Audioguides „Paestum für Radler nach Norden“.

1.Ihr seid hier in Griechenland!

„Südlich von Rom beginnt Griechenland, doch Italien hört nicht auf.“ (Eckart Peterich - Der „Peterich“ war der mehrbändige Kunst und Reiseführer der Bildungshungrigen und Italienbegeisterten der Nachkriegszeit – siehe Großvater!

2. Die Griechen saßen am Mittelmeer wie die Frösche am Teich. (Platon)

Die Blüte der griechischen Stadt Poseidonia (röm. Paestum) war um 560-440 v.Chr. Das römische Reich übernahm große Teile der griechischen Kultur/Religion/Kunst.

3. Der dorische Tempel als Gesamtkunstwerk

Die europäische Baugeschichte kann man nicht verstehen, wenn man sich nicht hiermit beschäftigt hat. Nüchterne Beschreibung des Aufbaus von unten nach oben:

Die Krepis mit 3 Stufen. Ohne Basis - direkt darauf gesetzt: die kannelierten Säulen mit der besonderen Schwellung (Enthasis). Abgeschlossen durch die dorischen Kapitelle mit Echinus (Kissen) und quadratischem Abakus. Diese tragen den Architrav und das Metopen - Triglyphen- Fries. Den Abschluss bildet auf den Querseiten der Giebel mit dem Tympanonfeld.

4. Paestum als besondere griechisch/römische Stadt

Geschichte / Tempelbezirk / Forum / Grab des Tauchers / Labyrinth / Unterirdisches Sacellum mit Honig ....

Es gäbe so viel zu erzählen und bestaunen.

Vielleicht reicht zum Abschluss dieses Blogs ein Goethe. Auf seiner Italienreise kam dieser nämlich auch aus dem Süden kommend Richtung Norden hier vorbei. Nur einige Jahre nach der Wiederentdeckung der in Maleriasümpfen die Jahrhunderte überdauernden Tempel schrieb Goethe in seiner Italienreise:

„Auch ist der mittlere Tempel (Hera II) nach meiner Meinung allen vorzuziehen, was man noch in Sizilien sieht! Es ist die letzte und fast möchte ich sagen herrlichste Idee, die ich nun nordwärts (sic!) vollständig mitnehme.“

Euch drei Radlern wünsche ich auf dem Weg Richtung Norden weiterhin viele herrliche Ideen (auch für das Gaskocherkatuschenproblem), tolle Begegnungen und reiche Erlebnisse aus Natur und Kultur.

Albrecht

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