Nachdem wir das Großfamilienhaus der Larsens hinter uns gelassen hatten, folgten wir den EuroVelo-Schildern in Richtung Westen. Wir hatten bereits am Vortag gelernt, dass Finnland zwar keine großen Berge hat, aber dafür nur aus kleinen Hügeln besteht. In diesem Sinne ging es heute ständig auf und ab, mal auf besserem und mal auf schlechterem Untergrund. Da unser Weg abseits von den größeren Straßen verlief, bekamen wir aber viele abgelegene Grundstücke in verträumten Ecken zu sehen. Finnland ist sehr felsig und dementsprechend war auch unsere Straßenführung eher wild und schlängelte sich sehr schön dahin. Die Schilder, welche ständig vor Elchen warnten, schürten in uns auch einige Hoffnung einen solchen zu erblicken. Tatsächlich sahen wir jede Menge Rehe, aber leider konnten wir nirgends eines der großen Geweihe erblicken. Nach etwa 10 Kilometern Fahrt machten wir unsere erste Pause. In einem Supermarkt lernten wir finnische Preise kennen, was eine eher niederschmetternde Erfahrung war. Nachdem wir uns ein wenig gestärkt hatten, rollten wir ein paar Kilometer weiter zu einem schönen Discgolf-Kurs im Wald, wo wir deutlich mehr Zeit verbrachten, als eigentlich beabsichtigt.
Dementsprechend war es bereits nach Mittag, als wir unsere Drahtesel wieder in Bewegung brachten und weiter entlang schöner finnischer Straßen fuhren. Spätestens bei einem weiteren Einkauf stellten wir fest, wie offen und interessiert die Finnen waren. Ständig wurden wir nett angesprochen und unterhielten uns mit einigen Einheimischen. Ebenfalls auffällig war, wie gut das Grundniveau der englischen Sprache war. Jeder und jede konnte solides Englisch, zumindest gut genug für ein kurzes Gespräch. Gegen Abend steuerten wir einen See an, an dessen Ufer wir uns einen schönen Platz zum Schlafen erhofften. Dank des „Jedermannsrechts“ mussten wir uns auch nicht groß verstecken, sondern nahmen einfach einen Zugang zum See, den wohl sonst Angler nutzten. Der Weg führte eng zwischen Baumreihen entlang und endete direkt am Wasser. Zu unserem Glück waren am Ufer auch einige Felsen, welche sich hervorragend zum Sitzen und Kochen eigneten. Gesagt, getan: Vincent begann direkt damit, eine Linsenbolognese zu kochen, Jared baute solange das Zelt auf und ich watete in den See, um mit unserem Filter Wasser abzupumpen. Wie ich bereits gelernt hatte, nehmen der Pumpwiderstand und die Durchflussmenge des Filters exorbitant zu und ab, sobald sich die Oberfläche der Filterkartusche zu verstopfen beginnt. Dementsprechend kann man bei sehr klarem Wasser problemlos ein paar Liter filtern, ohne zwischendurch die Kartusche zu säubern. Das Wasser unseres Sees war leider nicht klar, sondern so trüb, dass man kaum 15 cm tief sehen konnte. Letzten Endes konnte ich immer nur etwa 700 ml abpumpen, bevor ich den Filter wieder auseinandernehmen, putzen und wieder zusammensetzen musste. Dabei geht auch jedesmal wieder ein wenig des sauberen, bereits gefilterten Wassers drauf. Folglich brauchte ich eine halbe Ewigkeit, um etwa drei Liter Wasser zu gewinnen. Der Lohn für diesen Aufwand war dafür perfekt klares, geschmackloses Trinkwasser und eine große Portion Spaghetti mit (Linsen)Bolognese. Und natürlich hatten wir fünf Euro für finnisches Wasser gespart!
Während die Sonne unterging, war unser Platz am See wirklich wunderschön und Vincent und ich konnten uns nicht zurückhalten, noch das eine oder andere Foto mit der Kamera zu schießen. Nachdem wir alles gespült und aufgeräumt hatten, gingen wir dann ins Zelt - gerade noch rechtzeitig, bevor zwei junge Angler unsere Kochstelle beanspruchten, um ihre Haken auszuwerfen. Die beiden waren immerhin ehrlich und hatten gar nicht erst einen Eimer oder ähnliches zur Aufbewahrung der fiktiven Beute dabei!
Am nächsten Morgen frühstückten wir noch bei bewölktem Wetter am See und mussten dann schnell alle Schotten schließen. Für den ganzen Tag war Regen angesagt und das Wetter wollte uns schon früh morgens nicht enttäuschen. Also kämpften wir uns durch den Regen. Unser erstes Ziel des Tages sollte Salo sein, wo wir wieder ein paar Scheiben durch die Luft werfen und vor allem einkaufen wollten. Da uns auch der Wind nicht gerade gewogen war, brauchten wir für die gerade mal 30 Kilometer ordentlich viel Zeit und Kraft. Nachdem wir schließlich den örtlichen Discgolf-Kurs durchgespielt hatten, gingen wir in ein großes Einkaufszentrum, welches einen Waschsalon beherbergte. Während unsere Sachen gewaschen wurden, verkrochen wir uns vor der Nässe und Kälte im Hessburger. Dort konnten wir uns beim Genuss des einen oder anderen Vekeburger wieder aufwärmen und unsere nächsten Tage ein wenig planen. Tatsächlich hielt der Regen fröhlich an und so blieben wir ziemlich lange in unserem Versteck. Als die Wäsche trocken war und wir weder vor uns noch vor den Hessburger-Mitarbeiter*innen einen längeren Aufenthalt rechtfertigen konnten, ging es wieder raus in die Nässe. Mit voller Regenmontur wurden wir zumindest von außen nicht nass, kamen aber angesichts der finnischen Hügel und des Windes ordentlich ins schwitzen.
So radelten wir noch eine gute Stunde weiter, immer auf der Suche nach einem trockenen Unterschlupf für die Nacht. Einen solchen fanden wir dann in Form eines Schulgebäudes mit großem Vordach. Da morgen Sonntag war, waren wir recht zuversichtlich, dass die kleinen Grundschüler frei haben müssten und so schlugen wir unser Lager auf. Im Schutz des Daches konnten wir gemütlich Kochen und den restlichen Abend verbringen. Unser eigentlicher Plan, direkt unter dem Dach zu schlafen, wurde leider von der Zeitschaltuhr der Gebäudescheinwerfer zunichte gemacht. Also suchten wir uns ein ebenes Eck am Rande des Schulgeländes und spannten dort unser marodes Zelt so gut es ging ab. Unsere Wollsachen, welche nicht in den Trockner gedurft hatten, hängten wir vor dem Eingang zum trocknen auf und verkrochen uns ins Zelt. Etwas erledigt schliefen wir ein und träumten vom Ende des Regens.
Nach einer erholsamen Nacht waren wir wieder motiviert, die letzten Kilometer bis Turku zurückzulegen. Kurz nach der Abfahrt wurden wir direkt aufgehalten, da Vincents Kette riss. Zum Glück hatten wir genug Werkzeug und Spülmittel dabei, um das ganze zu reparieren und auch Vincents Hände wieder einigermaßen zu säubern. Nachdem wir wieder losfuhren, machte die Kette zwar sehr auffällige Geräusche, aber wir wollten weiterfahren und schoben das ganze auf die nun erhöhte Kettenspannung. Beim ersten Stop in einer kleinen Stadt, wo wir einkauften und den weiteren Tag planten, schauten wir uns das ganze dann nochmal an. In der Eile hatten wir tatsächlich die Kette falsch gelegt, so dass sie die ganze Zeit über ein Stück Metall geschliffen war. Upps! Also wurden Kettennieter und Spülmittel erneut ausgepackt und diesmal klappte alles.
Da wir es nicht mehr weit hatten und unsere Fähre erst am nächsten Tag gehen würde, waren wir relativ gemütlich unterwegs und nahmen auch wieder einen Discgolf-Kurs mit. Dort kam auch keine Einsamkeit auf: Mindestens 20 Autos und 30 Fahrräder hatten schon am ersten Abwurf geparkt und so waren sehr viele Leute unterwegs.
Den Nachmittag und Abend verbrachten wir in Turku, wo wir uns zum Kaffee einige Runden Skat genehmigten. Außerdem nahmen wir unser Vesper mit Blick auf ein Baseball-Spiel zu uns. Wir brauchten ein wenig, um die speziellen Laufwege dieser Baseball-Variante zu verstehen. Trotzdem war es beeindruckend, auf welchem Niveau die augenscheinlichen Amateure hier spielten und war waren bestens unterhalten. Leider verlor das heimische Team und so gingen nach Ende des Spiels alle schnell und gefrustet nach Hause.
Als es langsam zu dämmern begann, radelten wir auf die kleine Insel Ruissalo vor der Küste von Turku in direkter Nähe zum Hafen. Auf dem Weg dahin, kamen wir an der Burg von Turku vorbei, wo gerade ein Festival stattfand. Da auch wir seit Ewigkeiten keine Live-Musik mehr zu hören bekommen hatten, wurden wir ordentlich neidisch und wären am liebsten sofort auf das Gelände gefahren.
Ein paar Kilometer weiter, auf der Insel, dachten wir noch kurz darüber nach, in einer kleinen Hütte zu übernachten, die eigentlich für Schafe gedacht war. Da Jared und Vincent aber bereits einen anderen hervorragenden Übernachtungsplatz ausgemacht hatten, rollten wir weiter. Unser Tagesziel erreichten wir am Rand der Insel, wo sich ein sehr schöner öffentlicher Strand befand. Die etwas wackelige Bank nutzten wir zum kochen, während wir ständig den Hafen im Hintergrund beobachteten. Zwei der großen Fähren waren gerade dabei abzulegen und wir wussten, dass sie eng an uns vorbei mussten. Als die erste Fähre dann kam und Vincent und ich ins Wasser rannten, waren wir doch überrascht, wie nah wir an das große Schiff herankamen. Außerdem war der Sog bereits super stark und das Wasser wurde gute 20 Meter vom Strand zurückgezogen, während die Fähre passierte. Wenn man dabei den Kopf unter Wasser steckte, konnte man hören, wie der Sand mit dem Wasser mitgerissen wurde und dabei ein lautes Schleifgeräusch verursachte. Als das Schiff dann vorbeigezogen war, kam das gesamte Wasser wieder zurück und füllte das Strandbecken erneut.
Nachdem wir auch noch das zweite Schiff bewundert hatten, bauten wir unser Zelt direkt am Strand unter einem kleinen Baum auf. Es hatte begonnen zu regnen und hier war der Boden noch trocken und es blieb kein Sand am Zeltboden kleben. Während es dunkel wurde und wir uns in unser Zelt verkrochen, fanden sich mehrere hundert Gänse ein. Diese wollte ewig nicht den Schnabel halten und behinderten ein wenig unsere Nachtruhe. Immer wieder musste irgendeine Gans losschnattern, worauf die Ruhe welche sich über mehrere Minuten aufgebaut hatten zu Nichte war und alle anderen Gänse wieder einstimmten. Irgendwann wurden sie dann wohl auch müde und wir konnten schließlich einschlafen.