Peace
von Katharina Eberle
am 05.06.2021
Start
Fabro
🇼đŸ‡č Italien
Ziel
Rondine
🇼đŸ‡č Italien
Strecke
91,13
km

Die Etappe nach dem Bolzener See fĂŒhrte uns im Laufe des Tages auf einen Schotterweg, der zwar sehr anstrengend zu fahren war, aber dafĂŒr autoleer und mit einem gigantischen Ausblick in die Berge, Felder und WĂ€lder. Auf diesem Weg konnten wir sogar zu dritt nebeneinander fahren und uns unterhalten, was auf autobefahrenen Straßen kaum möglich ist. Auf einem etwas steileren StĂŒck Schotterstraße passierte auch der erste „Sturz“. Einen Tag vorher haben wir noch Wetten abgegeben, wem das wohl zuerst passieren wĂŒrde. Ich kam etwas vom Weg ab und das Fahrrad rutschte seitlich weg. Zwar war es dank meinen 4km/h Fahrgeschwindigkeit offensichtlich nicht schmerzhaft, trotzdem war ich etwas perplex, als Jared und Vincent nur ihre Kamera rausholten, lachten und meinten, ich soll genauso stehen bleiben. Erst als das Foto im Kasten war, kam die Nachfrage, ob alles gut sei. Einen Schlafplatz fanden wir auf einer Wiese hinter einem Restaurant. Am nĂ€chsten morgen kamen wir so frĂŒh los wie noch nie. Das lag vielleicht auch daran, dass es anfing zu nieseln nachdem wir schon aus dem Zelt gekrochen waren. Der Regen zwang uns, in Rekordzeit alles zusammenzupacken und loszufahren. Umso mehr wir in Richtung Norden kommen, umso besser werden die Straßen und die Schlaglochdichte nimmt auch ab. So fuhren wir lange auf einer Allee auf einer Teerstraße aus dem Bilderbuch und genossen das sehr.

Was uns schon öfter zum VerhĂ€ngnis geworden ist - und auch an diesem Tag - ist, dass wir zu spĂ€t mittagessen. In einem Moment denkt man noch, dass man noch leicht eine halbe Stunde durchhĂ€lt und im nĂ€chsten Moment merkt man, dass man jetzt sofort ganz dringend etwas essen muss. Das Problem ist nur, dass dann manchmal der nĂ€chste Supermarkt 15-20 km weg ist. Dann wird der Snackpack (Jareds roter Rackpack, in dem das Essen gelagert wird) geplĂŒndert und alles zusammengekramt, was essbar ist. Mit einem großen Loch im Bauch kamen wir bei dem nĂ€chsten Lidl an und setzten uns direkt davor in einem kleinen Park. Es gab Couscous Salat, Baguette, Butter und KĂ€se. Meistens haben wir unser HungergefĂŒhl in solchen Momenten so schlecht im Griff, dass wir uns einfach maßlos ĂŒberfressen. Dann fallen wir in ein großes Mittagstief und mĂŒssen ein kleines SchlĂ€fchen zum verdauen einlegen. Das Weiterfahren fĂ€llt danach besonders schwer und es dauert eine Weile, bis die Energie vom Essen im Magen zu den Muskeln in den Beinen kommt.

Die kuriosesten ZufĂ€lle fĂŒhrten uns zu unserem heutigen Schlafplatz. Wir suchten uns mal wieder ĂŒber Google Earth einen Platz aus, der sich fĂŒr unser Zelt eignen könnte, stellten dann aber fest, dass die Wiese zu steil ist und fuhren deshalb weiter. Um von der Hauptstraße etwas weg zu kommen, bogen wir in eine Seitenstraße ein, die nach Rondine fĂŒhrte. Nach ein paar Minuten fanden wir eine gemĂ€hte Wiese, auf die Vincent und ich uns schonmal niederließen und den Platz fĂŒr geeignet befanden. In letzter Zeit ist jedoch auffallend, dass Jared immer abends SuperkrĂ€fte entfaltet. Dann verĂ€ndert sich sein Blick, die Kopfbewegungen werden schneller und er ist voller Tatendrang. Deshalb beschloss er auch an diesem Abend, dass er das „Kloster“, das sich laut Google Maps 1 km weiter auf der Straße befand, zu erkunden. Kurze Zeit spĂ€ter kam er wieder und meinte, er hat Phil getroffen, der uns erlaubt hat, auf dem Fußballfeld zu schlafen. Perfekt. Wir waren uns zwar nicht sicher, was das genau fĂŒr eine Einrichtung war, aber das war egal. Auf den Google Bewertungen stand irgendwas von Peace (siehe Screenshot)... sehr interessant. Ebene Wiese, Erlaubnis, dort zu schlafen, das reicht.

Als wir die Wiese bezogen hatten, kamen schon Phil und Juliana und wollten uns zum Essen einladen. Da die Nudeln schon in the making waren, lehnten wir ab und sagten aber zu Obst und einem billigen Wein als Nachtisch nicht Nein. Gespannt was uns erwartet im kuriosen Kloster machten wir uns auf den Weg. Uns wurde direkt eine Dusche angeboten und bevor wir nÀheres herausfinden konnten, nahmen wir dieses Angebot an. Jared wurde von Phil mitgenommen in seine WG zum duschen und ich von Juliana in ihre. Danach sah ich ihn erstmal eine Weile nicht, weil mir 2 Frauen aus Julianas WG erstmal erklÀrten, was es mit diesem Ort auf sich hat:

Es ist ein Projekt, in dem verschiedene Personen aus Krisenregionen zusammengebracht werden und gemeinsam unter einem Dach leben. Wir haben Menschen aus Kolumbien, Mali, Aserbaidschan, Georgien, Russland, Bosnien und Herzegowina, ... kennengelernt. Die TeilnehmerInnen bleiben dort fĂŒr 1-2 Jahre und belegen verschiedene Seminare, reden ĂŒber die Konflikte und können wĂ€hrenddessen ihren Master an einer UniversitĂ€t in Italien machen. Jared befand sich zu dieser Zeit in dem Wohnzimmer von Phil und wurde wie ich ĂŒber das Programm aufgeklĂ€rt.

Einschub Jared:

Ich verweilte also in dem sogenannten Smoking Room und war dort erstmal mit Sergio am quatschen. Er kommt wie Juliana auch aus Kolumbien und wusste so einiges zu erzĂ€hlen. Der GebĂ€udekomplex ist zum einen Überbleibsel einer Verteidigungsanlage der Stadt Arrezo aus mittelalterlicher Zeit und zum anderen Reste eines ausgestorbenen Dorfes. Nach dem ersten Weltkrieg schrumpf die Einwohnerzahl drastisch, sodass auch die restlichen Einwohner das Dorf verließen und zurĂŒck blieb nur noch die Ruine der Festung. In den 80er Jahren wurde der Ort wiederbelebt von Franco Vacari mit dem Ziel ein Ort des Friedens zu schaffen. Auf den Grundmauern der Festung wurde ein GebĂ€udekomplex errichtet, der mittlerweile fĂŒr 33 Studentinnen und Studenten ein Stipendium fĂŒr 1-2 Jahre bietet. Sergio macht wĂ€hrendher seinen Master in Business Administration und erzĂ€hlte mir, dass er in Kolumbien daran arbeiten will, kleinen Businesses dabei zu helfen, international zu exportieren, da es hier sehr viel Know-how bedarf und wenige Investitionsinstitute daran interessiert sind. Er erzĂ€hlte mir auch, dass jeder der Teilnehmer nach seiner Zeit in Rondine ein Projekt in Kooperation mit Rondine in seinem Heimatland angehen wird, dass zum Frieden und Wohlstand beitragen soll.

Interessant war auch, was er so erzĂ€hlte ĂŒber das Leben in Rondine. Die meisten Teilnehmer leben zu zweit in einem Zimmer, was natĂŒrlich auch Konfliktpotential bringt, jedoch auch den Austausch erzwingt. Alexis aus Georgien erzĂ€hlte mir dann auch, was es bedeutet mit Menschen aus diplomatisch gesehen feindlichen Gebieten zusammenzuleben. Er sagte jedoch, dass er den Konflikt mit Russland sehr gut von der persönlichen Beziehung zu den dortlebenden Russen unterscheiden kann. Nach einer guten Weile kam schließlich Katha und Juliana wieder dazu

Einschub Ende

Irgendwann wurden wir dann wieder vereint und auch Vincent, der mittlerweile auch eine Dusche von innen gesehen hatte, gesellte sich zu uns. Dann wurde es lustig. Da aktuell 33 Personen in Rondine leben, kamen immer wieder neue Menschen durch die TĂŒre und gesellten sich zu uns. Uns wurde ein Obstteller und Tee gebracht und wir wurden mehrmals gefragt, warum wir ĂŒberhaupt hier waren. Das wussten wir selbst nicht so genau. Immer, wenn wieder eine neue Person durch die TĂŒre kam, durfte Jared von vorne erzĂ€hlen, wer wir sind, was wir machen und wie wir hier hergekommen sind. Zwischendrin wurde der Beamer angeworfen und ein Film angemacht, den wir aber nur bis zur HĂ€lfte anschauten, weil es schon spĂ€t war und wir uns lieber noch unterhalten wollten. Irgendwann hatte sich wohl herumgesprochen, dass „3 German guests“ sich nach Rondine verirrt hatten und so kamen weitere Menschen und fragten uns: „are you the Germans?“. Jareds Geschichte, die er im Insgesamten bestimmt 10 mal erzĂ€hlt hat, war zu spĂ€ter Stunde schon sehr smooth und oft reichte es aus, wenn wir einfach sagten: „We are the Germans“. Manchmal kam uns auch Juliana mit der ErklĂ€rung zuvor und sagte, dass sie uns gefunden hat, uns sympathisch fand und uns deshalb gekidnappt hat. Viel zu spĂ€t gingen wir dann in unser Zelt und verabredeten uns zu einem morgendlichen Kaffee und einer FĂŒhrung ĂŒber das GelĂ€nde. Der HĂ€userkomplex ist einsam im Wald gelegen mit einem gigantischen Blick ĂŒber einen Fluss. Die GebĂ€ude sind alte SteingemĂ€uer und in sich verwinkelt, was dem ganzen Charme verleiht. Es gibt sogar eine kleine Cafeteria, wo FrĂŒhstĂŒck und Mittagessen serviert wird. Schweren Herzens verabschiedeten wir uns schließlich von Juliana und den anderen FrĂŒhaufstehern (10 Uhr ;-) ) und machten uns auf den Weg nach Florenz.

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