#EV10
von Vincent Kliem
am 05.08.2021
Start
Kiisa
🇪🇪 Estland
Ziel
Kirkkonumi
🇫🇮 Finnland
Strecke
75
km

Nach dem Aufstehen nutzten wir den schönen Fluss an unserem kleinen Zeltplatz, um (mal wieder) unsere Fahrräder zu säubern. Zufrieden, die Lärmbelästigung durch unsere knirschenden Fahrradketten etwas eingedämmt zu haben, fuhren wir nach Tallinn, um nachmittags mit der Fähre nach Helsinki überzusetzen. Da wir morgens etwas trödelten, blieb uns in Tallinn selbst nicht mehr so viel Zeit. Die wenige Zeit nutzten wir, um einen Kaffee im Telliskivi zu trinken. Hier haben sich auf einem ehemaligen Fabrikgelände Kreative, Cafés und Bars angesiedelt. Es schien unglaublich viel zu entdecken zu geben. Wir ärgerten uns etwas, dass wir nicht früher hier waren und beschlossen, dass wir auf jeden Fall nochmal nach Tallinn kommen müssen.

Unsere kleine Ferienwohnung

Eilig machten wir uns auf den Weg zur Fähre und bewunderten aus der Ferne noch die Häuser der Altstadt. Wir waren tatsächlich die drei letzten Radreisenden, die die Fähre bestiegen. Wir parkten unsere Räder im Bug des Schiffes, packten das Nötigste zusammen und gingen auf Erkundungstour. Unsere Fähre war ein ganz schönes Monstrum. Wir machten es uns zunächst auf dem Deck gemütlich und brachten unseren Blog etwas auf Vordermann. Um noch ein wenig unsere hungrigen Akkus zu Laden, gingen wir wieder unter Deck in die Cafeteria. Zu diesem Zeitpunkt war unser Plan, den Abend in Helsinki zu verbringen und noch eine Nacht am Rand von Helsinki zu verbringen, um am nächsten Morgen auf Erkundungstour zu gehen. Dieser Plan sollte sich radikal ändern.

Ich war gerade dabei am Blog zu schreiben, als ich plötzlich auf deutsch Angesprochen wurde: „Ihr seid aus Deutschland, oder?“. Vor uns stand ein älteres Ehepaar, dass sich als Heidi und Willy Larsen vorstellte. Im Gespräch wurde uns schnell klar mit was für beeindruckenden Persönlichkeiten wir es zu tun hatten. Kurz zusammengefasst: Heidi und Willy (beide Mitte 70) waren mit ihrem Wohnmobil auf der Rückreise von einem Besuch bei ihrer Tochter in Estland, die sie besucht hatten, um beim Hausbau zu helfen. Dies sei möglich, weil sie gerade Urlaub(!) hätten. Ursprünglich stammten beide aus Norwegen. Heidi sogar von den Lofoten. Willy war als junger Soldat einige Jahr in Deutschland stationiert. Die beiden sprachen: deutsch, englisch, norwegisch, schwedisch, finnisch und ein bisschen russisch. Wir unterhielten uns mit einem Gemisch aus deutsch und englisch. Besonders rührend und unterhaltend war, wie Willy gestenreich erzählte, wie er Heidi kennenlernte. Die ganze Begegnung war so unglaublich herzlich. Schließlich luden sie uns ein, sie zu besuchen. Sie wohnen 35km von Helsinki entfernt. Wir beschlossen gleich heute noch die Strecke zu fahren. Ach ja, war zu diesem Punkt die Lebensleistung und Ausstrahlung der beiden nicht schon beeindruckend genug, setzten sie noch einen drauf: Als sie uns in ihr Haus einluden erwähnten sie nebenbei, dass sie wirklich viel Platz hätten, da sie nämlich 15 (in Worten fünfzehn) Kinder hätten!!!

Wir verabschiedeten uns bis später und fuhren zügig los. Da es inzwischen schon fast 20 Uhr war, beeilten wir uns, nicht zu spät zu kommen. So konnten wir leider nicht so viel von Helsinki sehen. An einen ruhigen Abend in Helsinki war heute sowieso nicht zu denken, denn über der Stadt kreisten in einer abenteuerlichen Flugshow und kaum überhörbar Kampfjets. Wie viele Passanten schauten auch wir immer wieder nach oben und staunten über Flugmanöver und Farbmalerei am Himmel. Ein kleines Wunder, dass wir nicht in einen Verkehrsunfall verwickelt wurden, denn alle starrten nach oben. Etwas außerhalb von Helsinki wurde es schließlich ruhiger und wir konnten auf den nicht besonders schönen aber fantastisch funktionalen Radwegen entlang der Schnellstraßen zügig Strecke machen. Finnland scheint ein super ausgeschildertes und ausgebautes Radnetz zu haben. Wir kamen schließlich gegen 22 Uhr an der Adresse, die uns die Larsens gegeben hatten an.

Wir standen tatsächlich in Mitten eines großen Grundstücks - zur Hälfte Baustelle - vor einem großen Haus. Wir sahen zunächst durch die Fensterscheiben Björn, ein Sohn von Willy und Heidi, der momentan in einer Wohnung des Hauses wohnt. Wir wurden herzlichst begrüßt und wir brachten unser Gepäck ins obere Stockwerk. Das Haus war auch von Innen beeindruckend. Es bestand aus mehreren, wenn auch nicht klar abgegrenzten, Wohnungen mit jeweils eigenen Küchen. Wir bezogen unsere Traumferienwohnung unter dem Dach und gingen nach einer Dusche und schneller Pasta überwältigt schlafen.

Frühstück bei Familie Larsen

Am Morgen wurden wir von Larsens zum Frühstück eingeladen. Der Tisch war gedeckt mit feinem Fisch, selbst gebackenem Brot und vielen Zutaten aus dem Garten. Willy und Heidi erzählten uns viel über ihre Familie und wie sie hier nach Kirkkonummi kamen und über das Leben in einer gigantischen Großfamilie mit 15 Kindern: „ein großes Geschenk“. Sie strahlten eine unglaubliche Dankbarkeit und Lebensfreude aus. Das Highlight war aber die anschließende Führung durch das Haus. Zunächst ging es runter in die Werkstadt. Der passionierte Schreiner Jared war sofort begeistert von der Auswahl an Werkzeugen und den gebauten Möbelstücken. Neben einer ausgestatteten Schreinerei diente der Raum aber auch als Autowerkstatt, erkennbar an einer große Luke im Boden. Es ging nämlich noch ein Stockwerk runter. Hier gab es zwei weitere Werkstätten. Eine lag genau unter der oberen Werkstatt und so konnte man von hier durch die Decke gemütlich am Auto schrauben. In der anderen Werkstatt wartete noch ein Highlight auf uns. Willy ist sehr handwerklich veranlagt, was man bei so einem Haushalt vielleicht auch sein sollte, und hat dies auch an einige seiner Kinder weitergegeben. Ein Sohn arbeitete in dieser Werkstatt schon seit Jahren an einem eigenen Kanu. Das Zwischenergebnis sah schon super cool aus. Hinter einer weiteren Tür befand sich auf einmal ein gigantischer Findling über den das Haus einfach gebaut wurde. Hier unten gab es auch einen direkten Zugang zum Grundwasser.

Wir gingen wieder ein Stockwerk hoch, besichtigten die Sauna (wir hatten schon gewettet, dass es bestimmt eine gibt), wurden um die Ecke geführt und standen auf einmal in einer Kirche, einer KIRCHE! Larsens hatten es schon durchblicken lassen, dass sie sehr christlich verwurzelt sind, aber mit einer Kirche haben wir nicht gerechnet. In der Kirche befand sich neben einer Hausorgel auch ein Klavier. Zwei Dinge, die den Larsens wichtig zu sein schienen:

Zum einen das gemeinsame Musizieren. Schon im Wohnzimmer hingen Instrumente für ein Orchester an den Wänden und jedes Kind sollte mindestens ein Instrument lernen.

Bei der Planung des Hauses und der Kirche war Willy aber auch wichtig, dass man auch entspannt aus der Sauna der Musik oder den Gottesdiensten folgen kann. So gibt es ein Fenster direkt von der Sauna mit Blick in die Kirche. Wo gibt‘s denn schon sowas?

Ich fragte gleich, ob wir nicht gemeinsam was singen könnten. Nach kurzem Überlegen fanden wir Amazing Grace und voller Inbrunst wurden alle 7 Strophen mehrstimmig gesungen. Es war total rührend.

Anschließend setzte sich Heidi an’s Klavier und die Larsens sangen für uns mehrstimmig ein schwedisches Lied. Unglaubliche schön. Wir nahmen uns gleich vor, das bei Gelegenheit mal zu üben.

Weiter ging es in den Garten. Das Grundstück grenzte direkt an einen kleinen Fluss. Dort wird gerade eine Fischtreppe gebaut. Es gab auch ein kleines Becken in dem Willy jeden morgen (egal ob Winter oder Sommer) baden geht. Im Garten standen auch mehrere Wohnwägen mit ausgebauter Holzterrasse, die teilweise den Kindern gehören. Auf dem Grundstück steht auch noch das alte Haus, das hier schon stand, als die Larsens das Grundstück kauften. Hier wurden die ersten Kinder großgezogen, während mit der (eigenständigen) Planung und dem Bau des Hauses begonnen wurde.

Ach, es gäbe noch so viel zu erzählen über diese unglaubliche Familie und diese besondere Begegnung. Was für ein verrückter Zufall, das uns dieser urige Typ auf der Fähre einfach ansprach und unfassbar was dann folgte.

Wir verabschiedeten uns herzlich „bis bald“ und mit dem Gefühl, dass wir uns schon viel länger als die paar Stunden kennen würden, und stiegen auf unsere Fahrräder. Wir konnten noch nicht ganz fassen, was da seit der Fähre so passiert ist und werden sicherlich noch ein paar Tage brauchen um diese unglaubliche Begegnung zu verarbeiten.

von Vincent Kliem
am 31.07.2021
Start
Baldone
🇱🇻 Lettland
Ziel
Riga
🇱🇻 Lettland
Strecke
34,85
km

Tatsächlich waren es heute morgen nur noch 30km bis nach Riga. Man möchte vielleicht meinen, dass eine Hauptstadt auch eine gutes Fahrradnerz im Umkreis haben sollte, nicht so Riga. Um von der großen Bundesstraße runterzukommen, bogen wir irgendwann auf einen Pfad entlang der Düna. Nachdem wir uns durch dichte Wälder und kleine Gartensiedlungen ohne feste Straßen gekämpft hatten, kamen wir endlich - wie aus dem nichts - auf einen perfekt ausgebauten Radweg. Uns fiel in der Ferne sofort der gigantische Fernsehturm von Riga auf. Tatsächlich recherchierten wir, dass dieser das höchste Bauwerk der EU sei. Im Vergleich dazu wirkten die Kirchtürme der Stadt winzig. Wir kämpften noch ordentlich gegen den Wind an, bis wir in die Stadt kamen. Auf dem Weg zu unserem Hotel, das wir am Vortag gebucht hatten, fielen uns schon die vielen schönen Stadthäuser auf. Auch unser Hotel erzählte von Außen noch vom Glanz früherer Tage, von Innen eher vom Renovierungsstau. Aber wir konnten uns nicht beklagen: Lage und Preis waren top.

Crazy Cider: zwei zum Preis von einem

Moritz und ich zogen, nachdem wir im Bad unseren Renovierungsstau abgebaut hatten, in die Stadt. Mein alter Schulfreund Lukas, der einige Jahre in Riga studiert hatte, gab uns ein paar Tipps für die Innenstadt und so schlenderten wir los. Nachdem wir uns grob orientiert hatten, fanden wir eine total geniale Ciderbar und gönnten uns im Innenhof Cider und einen sehr leckeren Humusteller.

Da es inzwischen schon Nachmittag war, war die Auswahl an Museen, die noch lohnenswert lange offen hatten, klein. Wie entschlossen uns schließlich das Okkupationsmuseum zu besichtigen, das sich der Zeit der Besetzung Lettlands widmet. Wie viele Museen in Riga kostete es keinen Eintritt.

Hier ein kurzer Abriss der Geschichte Lettlands:

Nach dem ersten Weltkrieg erklärte Lettland erstmalig seine Unabhängigkeit. Der multikulturelle Staat war wohl für seine Zeit relativ tolerant gegenüber denen im Land lebenden Minderheiten und so gab es beispielsweise in Riga auch ein deutsches Gymnasium, auf das unter anderem auch Heinz Erhardt ging. Die Unabhängigkeit endete 1939 mit dem Hitler-Stalin-Packt. Die Rote Armee marschierte in Lettland ein und es folgte eine russische Schreckensherrschaft, bei der vor allem ein Großteil der kulturellen und wissenschaftlichen Elite Lettlands in Arbeitslager verschleppt wurde, was wenige überlebten. Dies ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass der Überfall auf die Sowjetunion von einigen Teilen der Bevölkerung als „Befreiung“ gesehen wurde. Doch es folgte die nächste Schreckensherrschaft. In Riga betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung etwa 10%. Am Holocaust in Lettland machten sich auch viele Letten mitschuldig. Es folgte wieder die Rückeroberung durch die Rote Armee und schließlich wurde Lettland - wie das gesamte Baltikum - Teil der Sowjetunion. Es folgte eine weitere Deportationswelle im März 1949, wobei fast 100.000 Menschen aus dem Baltikum in Richtung Sibirien verschleppt wurden.

Ermutigt durch Solidarność und die Streiks in Polen (vor allem Danzig), kam es auch im Baltikum vermehrt zu Gedenkveranstaltungen zu den Deportationen. Im Museum war ein Bild von einer solchen Veranstaltung ausgestellt, auf dem (vermutlich) ein KGB-Agent am Rand zu sehen ist, der im Moment des Fotos dem Fotographen zuflüstert, dass ihm das noch Leid tun werde. Der Höhepunkt der friedlichen Revolution im Baltikum war eine 600km lange Menschenkette zum 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes, die die Hauptstätte Vilnius, Riga und Tallinn miteinander verband. Seit 1990 sind die baltischen Staaten unabhängig.

Besonders Eindrucksvoll war es in dem Museum die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts aus der Perspektive eines so vergleichsweise kleinen Volkes wie den Letten zu sehen. Deutschland war leider(!) ein „Bigplayer“ und zumindest zu sehr großem Teil verantwortlich/schuldig für das eigene und fremde Schicksal. Im Museum bekam man eher den Eindruck, dass Lettland ein einigermaßen chancenloser Spielball zwischen den Großmächten war. Wir konnten etwas besser nachvollziehen, dass wir im Land an jeder Ecke die Flagge Lettlands zu sehen bekamen. Man ist hier stolz auf die eigene Unabhängigkeit. Daneben sieht man aber auch viele EU-Flaggen. Die baltischen Staaten zeigen sich unglaublich Europa freundlich und sind seit 2004 Mitglieder der EU und inzwischen auch der Eurozone.

Mit diesen Eindrücken spazierten wir zurück zum Hotel, vorbei am ehemaligen KGB-Büro, inzwischen gottseidank ein Museum.

Impfkampagne (in der ganze Stadt plakatiert)

Prost!

Nach einer kurzen Stärkung im Hotel zogen wir zu dritt weiter durch Riga. Nach einigen runden Skat in einem kleinen Café verabschiedete sich Moritz für eine abendliches Telefonat mit seiner Liebsten. Jared und ich zogen weiter in die Innenstadt zu einer Bar, die mir Lukas empfohlen hatte. Etwas lauffaul und neugierig buchten wir uns erstmaligst einen E-Roller, die hier auch an jeder Ecke rumstehen und heizten zu zweit durch die Rigarer Nacht. Wir gönnten uns gerade ein Bier unter freiem Himmel als es anfing zu nieseln. Vielleicht hätte uns das Wetterleuchten schon beunruhigen sollen. Naja, wir zogen auf unserem seltsamen Gefährt weiter in Richtung der Ciderbar, wo es ein kleines Konzert im Innenhof geben sollte. Auf einmal brach Sintflutartig der Regen über uns herein. Wir konnten gerade noch den Roller abstellen und auf einen überschirmten Platz flüchten. Eigentlich eine sehr schnieke Location zu der wir uns mit unserem Radfahrerstyle nicht getraut hätten. Eine Band spielte und die adrett gekleideten Menschen lauschten artig mit einem Cocktail bewaffnet. Da aber jetzt alle Menschen im Umkreis von einigen hundert Metern dies als einzige Fluchtmöglichkeit sahen, verändert sich die Stimmung radikal, glücklicherweise spielte die Band weiter.

Völlig durchnässt fuhren wir mit dem Roller zurück ins Hotel.

von Vincent Kliem
am 18.07.2021
Start
Zarnowiec
🇵🇱 Polen
Ziel
Gdańsk
🇵🇱 Polen
Strecke
80,88
km

Nachdem wir es uns in unserem Hostel La Guitarra gemütlich gemacht haben - unser Zimmer hieß übrigens Keith Richards, nicht die schlechteste Wahl - und die nötigen hygienischen Maßnahmen ergriffen hatten, um uns unter Menschen zu wagen, spazierten wir in Richtung Innenstadt. Die nette Frau an der Rezeption empfahl uns die „Piwna“, zu deutsch: Bierstraße - ideal für unsere Abendpläne. Wir spazierten vorbei am Hafen mit einigen schicken Yachten und einem dämlichen Pseudopiraten-Ausflugsschiff mit Fakesegeln, von dessen Sorte wir bisher in jedem polnischen Hafen eines gesehen haben.

In der Bierstraße fanden wir tatsächlich viele nette Bars und Kneipen. Unsere erste Wahl fiel auf einen kleinen aber feinen Innenhof und tatsächlich war die Bierauswahl sehr beachtlich. Etwas überfordert mit dieser bekamen wir auf die Frage, was denn das Getränk mit dem fancy Namen „Fortuna 11“ für ein Bier sei, die Antwort: „Fortuna is the Beer, 11 the price!“

Nach einigen Runden Skat meldeten sich beim Reizen auch immer deutlicher unsere Mägen zu Wort, und so gingen wir auf die Suche nach einem Abendessen. Wir fanden ein Restaurant, das sich vornehmlich auf Piroggen (im Prinzip die polnische Version der Maultasche - nur anders 😉) spezialisiert hatte. Wir gönnten uns gemeinsam den Teller mit 36 gemischten Füllungen. Soweit wir es rausschmecken konnten, waren in unterschiedlichen Füllungen dabei: Kraut, Pilze, Hackfleisch, Fisch und zum Nachtisch Quark und Beeren. Allesamt sehr, sehr lecker.

Nach dem wir unsere Bäuche vollgeschlagen hatten ließen wir den Abend in der sehr hippen Bar „Jozef K“ am Ende der Straße mit einigen Pale Ales ausklingen.

Für den nächsten morgen hatten wir uns einen Platz für die Free Walking Tour ergattert und spazierten mit unserem sehr unterhaltsamen Guide drei Stunden lang durch die Danziger Innenstadt. Wir lernten viel über die Danziger Geschichte geprägt von Handel und Reichtum (Hansestadt!) und den stetig wechselnden Bewohnern der Stadt. Hier lebten Polen, Deutsche, Holländer...

Besonders bewegend war der Abschluss der Tour. Diese endete am ehemaligen polnischen Postamt. Das mag unspektakulär klingen, ist aber tatsächlich ein wirklich geschichtsteächtiger Ort. Fesselnd erzählte uns der Guide warum:

Nach dem ersten Weltkrieg wurde im Vertrag von Versailles festgelegt, dass Danzig weder zu Deutschland noch zu Polen gehören solle, sondern den Status einer freien Stadt bekäme. Eine Bedingung war dabei die Entmilitarisierung des Gebietes. Zu dieser Zeit bestand die Bevölkerung Danzigs zu 90% aus Deutschen. Ein wichtiges Symbol und Service für die Polen war daher das polnische Postamt, das es parallel zur Danziger Post mit eigenen Briefkästen gab. Als die Rhetorik der Nazis immer grausamer wurde und ein Krieg unausweichlich schien, rüsteten heimlich die „Postbeamten“ auf. Ziel war es bei einem möglichen Überfall die wenigen Stunden durchzuhalten, bis Verstärkung durch die polnischen Armee kommen konnte. Mit dieser Vorahnung lagen sie leider richtig. Nach dem angeblichen und fingierten Überfall auf den Sender Gleiwitz am 01.09.1939, begann der Überfall auf Polen genau hier und damit auch der Beginn des zweiten Weltkriegs. Die Propagandapresse der Deutschen stand schon bereit, um die Einnahme des polnischen Postamtes symbolträchtig zu inszenieren, doch die mutigen Postbeamten wehrten sich in ihrer Verzweiflung so gut es ging. Sie wussten nicht, dass keine Verstärkung kommen konnte. Erst nachdem das Gebäude voll Benzin gepumpt und in Flammen gesetzt worden war, gaben die Verteidiger auf. Von Ihnen überlebte keiner den Krieg.

Das Postamt ist wieder aufgebaut und vor Ort erinnert eine Skulptur an diesen erbarmungslosen Kampf.

Fünf furchtbare Jahre später wurde Danzig von der Roten Armee „befreit“ - was bedeutete, dass es fast komplett zerstört wurde. Glücklicherweise, wurde vieles wieder aufgebaut und nur bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass wohl einiges nicht mehr ganz „original“ ist.

Nach der Stadtführung nutzten wir mal wieder die Vorzüge einer Großstadt für einige Erledigungen. Während Moritz eine neue Isomatte kaufen ging - seine hat inzwischen eine monströse Beule, suchten Jared und ich einen Friseur auf, da wir gegen das Gewucher auf unseren Köpfen dringend etwas unternehmen müssen. Wir fanden einen urigen kleinen Salon auf einer Galerie in einer Markthalle. Leider musste sich die Friseurin noch mit einem Deutschen und seiner Frau rumschlagen. Es bestand wohl ein Kommunikationsproblem darüber, wie kurz die Haare geschnitten werden sollten, wobei das Englisch der rasenden Ehefrau auch nicht das Prädikat Oxford verdient hätte. Die beiden führten sich dermaßen peinlich auf, dass wir uns wirklich fremdschämen mussten. Es war leider nicht das erste Mal, dass wir miterleben mussten, wie sich deutsche Touristen im Ausland danebenbenahmen. Als wir die beiden daran hindern wollten, den Friseurladen ohne zu zahlen zu verlassen, kassierten wir von der Furie auch noch ein „Arschloch“, was diese nette Begegnung noch abrundete.

Wir versuchten unser bestes, diesen bescheidenen Eindruck deutscher Höflichkeit wieder auszugleichen und setzten auf volle Charmeoffensive. Gottseidank konnte die Chefin des Ladens es auch ein wenig mit Humor nehmen und wir erzählten von unsere Reise. Sehr zufrieden über unseren neuen Haarschnitt trafen wir uns mit einem sehr zufriedenen Moritz mit neuer Isomatte im Gepäck und von unangenehmen Begegnungen mit Deutschen verschont. Mit einer Runde Nudel mit Pesto am Hafen ließen wir unseren Danzigbesuch ausklingen.

von Jared Faißt
am 17.07.2021
Start
Kluki
🇵🇱 Polen
Ziel
Zarnowiec
🇵🇱 Polen
Strecke
67,21
km

Die Nacht war für mich zwar erholsam, aber auch nur dank der aufmerksamen Mitschläfer, die den nichtangekündigten Regen immerhin bemerkten und unser nacktes Innenzelt mit dem Außenzelt überzogen. Ich wachte nur kurz auf, als die beiden bereits die Zeltplane fixiert hatten. Dafür wachte ich am nächsten Morgen früh auf und konnte schonmal Frühstück richten. Kurz später kamen auch die benachbarten belgischen Camper aus ihrem Bus. Die 2 kleinen Töchter hatten uns schnell als Ballspielpartner auserkoren und von der Nummer kamen wir auch nur schwer wieder weg. Daher musste die morgendliche Routine parallel zu Ballholen und Zuwerfen erfolgen und die Bespaßung erfolgte in Schichten. Irgendwann hatten wir alles beisammen und dann war für alle der Spaß vorbei. Die Bälle der Mädels wurden eingepackt, als sie schließlich auch die Reise fortsetzten und wir mussten wieder aufs Rad…. Auf einem in Komoot eingezeichneten Wanderweg durchs Sumpfgebiet. Die Staßenqualität bei einer Umfahrung des Gebiets wäre auch nicht optimal gewesen und so dachten wir kann man die 10km schon irgendwie durchstehen. Es kam aber deutlich härter als gedacht.

Nicht nur die engen, matschigen Radwege stellten sich als Problem heraus. Auch die sehr gut intakte Natur in Form von Mücken und anderen Blutsaugern quälte uns zunehmend. Lustigerweise trafen wir aber genau hier weitere Radreisende. 2 frische Abiturientinnen aus Hannover radeln ebenfalls den EuroVelo 13 entlang bis nach Danzig, um von dort nach Schweden überzusetzen. Wir unterhielten uns eine Weile und so konnte man die Strapazen etwas verdrängen. Nach 20 km zurückgelegt in einem Schnitt unter 10 km/h kamen wir endlich wieder auf Asphalt an.

Moritz‘ Freude über den ersehnten Asphalt

Dort folgten wir dann den guten Straßen Richtung Süden, um den schwer zu befahrenden Küstenabschnitte auszuweichen. Von dort ging es dann weiter nach Westen bis wir den ehemaligen Grenzfluss zu Polen erreichten. Hier tuckerten noch die letzten Kayaks Richtung Ostsee und wir machten es uns schon einmal auf einem der grünen Parkplätze dort am Fluss gemütlich. Nach ausgiebigem Waschen (sowohl wir als auch die Räder) gingen wir schließlich schlafen.

Am nächsten Morgen war ich mal wieder der erste, der das Zelt verließ. Ich setzte mich schon einmal an die Bank auf dem Parkplatz und bereitete Frühstück und Kaffee vor. Moritz kam etwa eine Stunde später herausgekrochen und fragte mich, ob ich seinen Schuh 20m weiter verschleppt hätte. Als dann schließlich auch noch Vincent fragte, warum sein FlipFlop nicht mehr am Zelt lag, war wohl klar, da war ein Fuchs zu Besuch über Nacht! Immerhin waren keine Gegenstände allzuweit verschleppt und so konnten wir ohne Verluste alles zusammenpacken. Während des Frühstücks wollte ich in der Morgensonne noch die Solarplatte auslegen zum Laden. Ich war bereits am Abend verwundert, dass sehr wenig Leistung rauskam aber verschob das Problem auf den heutigen Tag. Leider bestätigte sich das Problem, irgendwas stimmt hier nicht , aber zuerst noch eine kurze Vorstellung der Stromversorgung:

Solarplatte in Action

Gepäckstück des Tages: Solarplatte

Es ist wohl anhand des Blogs zu erahnen, dass wir technisch gesehen nicht gerade ‚wild‘ unterwegs sind. Wir haben schließlich 3 Stirnlampen, ein Fotoapparat, eine GoPro, eine Drohne, 3 iPhones und ein iPad dabei und alle sind sehr durstig nach Elektrizität. Daher haben wir eine faltbare Solarplatte dabei in Kombination mit 2 Powerbanks (gesamt: 40.000 mAh). Das kleine Kraftwerk ist von der Marke Suaoki und kann nominell 21W Output geben mit 2 USB Slots (realistisch im Idealfall 15W). Das reicht super, um die Powerbanks sogar per QuickCharge zu laden. Ideal ist die Platte vor allem auch in Kombination mit den Fahrradtaschen. Die Rollverschlüsse meiner Hintertaschen eignen sich super um die Solarplatte darin einzuklemmen. So kann ganz bequem tagsüber geladen werden.

Und nun zurück zum Problem: Ich vermutete bereits einen Kabelriss irgendwo in der Verschaltung, schließlich änderte sich die Leistung kaum, wenn ich die hinteren beiden Solarplatten abdeckte. Es blieb also nichts anderes übrig als den Stoff aufzuschneiden und nachzusehen. Tatsächlich war ein Kabel an der Knickstelle gerissen (es war wohl auch nicht auf Langlebigkeit ausgelegt). Wir nahmen mal wieder eines unserer defekten iPhone Ladekabel zu Hand, um eine Kabelader abzuisolieren und als kleine elektrische Brücke mithilfe von Klebeband zu nutzen. Nun funktionierte das Gerät wieder wie gewohnt, sieht aber jetzt etwas zerfleddert aus und muss vermutlich mal noch beim nächsten Baumarktbesuch überarbeitet werden.

Um Punkt 9 kam dann die Flut von Kayaks und mit ihnen die Touristen über uns herein. In Windeseile packten wir unser Zeug zusammen und brachen auf Richtung Danzig. Der Wind war heute anfangs optimal und trieb uns bis zur Bucht vor Danzig. Dort ging es dann Richtung Süden, zuerst durch Gdynia, wo wir noch eine leckere Pizza verspeisten und schließlich weiter nach Danzig, wo wir unser Schlafquartier im Hostel La Guitarra bezogen.

Hafen von Gdynia
von Moritz Spannenkrebs
am 15.07.2021
Start
Kolobrzeg
🇵🇱 Polen
Ziel
Kopan
🇵🇱 Polen
Strecke
81,98
km

An diesem Tag erwachten wir alle recht zeitig, da uns der Strand wenig Schutz vor der Morgensonne bot. Natürlich nutzten wir alle das Meer vor unserer Zelttür für eine morgendliche Erfrischung. Gerade wenn man den ganzen Tag schwitzend auf dem Rad sitzt, tut es gut, sich morgens noch ein paar Stunden wie ein Mensch zu fühlen. Kaum dass wir unsere Sachen einigermaßen gepackt hatte, kam eine Gruppe von drei Männern den Strand im Traktor entlanggefahren. Wir hatten noch kurz Bedenken, ob da wohl Ärger auf uns zurollen könnte, aber sahen dann schnell, dass die Männer für das Leeren der Mülleimer zuständig waren. Also begrüßten wir die drei freundlich in unserem flüssigen Polnisch (Wortschatzgröße: 3) und machten uns auf den Weg. Da es noch relativ früh war, hatten wir angenehme Temperaturen und der Wind half uns ein wenig auf einem sehr schönen, schattigen Weg entlang der Ostsee. Mit einem kurzen Stop für Wasser und ein paar Runden Skat erreichten wir vor Einsetzen der Mittagshitze einen sehr schönen Pausenplatz und hatten bereits über 40 Kilometer geschafft ohne uns wirklich anzustrengen. Die Mittagspause wurde genutzt, um den Blog und die Räder auf Vordermann zu bringen und die eine oder andere Tasse Kaffee zu trinken. Nach einer mehr als ausgiebigen Pause ging es nachmittags weiter. Für mich war es immernoch schwer erträglich heiß, aber der Gegenwind brachte Abkühlung und Ablenkung, da er ein akuteres Problem darstellte als die Temperaturen.

Morgendlicher Betrieb am Strand

Ein besonderes Highlight des Tages war der Trip von Vincent und mir zum Supermarkt. Aus Gewohnheit waren wir davon ausgegangen, die Wasserkanister direkt am Eingang zu finden. Da sie dort nicht anzutreffen waren, irrten wir orientierungslos im Laden herum. Nachdem wir fünfmal im Kreis gelaufen waren, entdeckten wir mehr oder weniger gleichzeitig ein großes Schild mit der Aufschrift „Woda“, welches uns in einen Nebenraum führte. Bei genauerem Umsehen wurde uns klar, dass alle Wände, Decken und soar der Fußboden mit derartigen Schildern bestückt waren. Im Nachhinein war uns absolut unbegreiflich, wie man in diesem Laden irgendetwas anderes als die „Woda“-Schilder wahrnehmen konnte. In diesem Moment machten wir uns dann doch den einen oder anderen Gedanke darüber, was das tägliche Radfahren mit unserer Zurechnungsfähigkeit anstellte…

Zum Abend hin fuhren wir einige Kilometer entlang einer dünnen Landzunge zwischen Meer und Seen, auf der nur ein einziger Weg und der Strand entlangführten. Da wir erschöpft waren, beschlossen wir etwas abseits des Weges an einer einsamen Stelle am Rande des Strandes zu nächtigen. Der Platz war wunderschön und wie irgendjemand von uns noch feststellte gab es auch „gar keine Mücken hier“. Man konnte toll im Meer schwimmen und über die Wellenbrecher bis weit ins tiefe Wasser hinaus gehen. Wir kochten, gingen Schwimmen, telefonierten, warfen die Frisbee und hatten insgesamt einen super Abend.

Unser Strand - fast ohne Mücken!

Doch als wir uns gerade in tiefster Sicherheit wiegten, begann es: Innerhalb von 15 Minuten verwandelte sich der friedliche Ort in ein Schlachtfeld… und wir waren die Bauernopfer. Nachdem wir zwei Stunden lang keine Mücke erblickt hatten, waren plötzlich alle Mücken der Welt da. Tatsächlich kamen so schnell so viele der Untiere, dass wir die Hälfte unserer Sachen liegen lassen mussten. Telefonate wurden plötzlich beendet und Geschirr ungespühlt liegen gelassen. Alles musste im Laufschritt erledigt werden, um die feindlichen Landemanöver möglichst zu erschweren. Weder Autan und Antibrumm, noch lange Kleidung konnten hier mehr helfen, da jeder ungeschützte Quadratzentimeter sofort von zehn Blutsaugern besetzt war. Die schiere Masse an Flugtieren führte dazu, dass jede Schwachstelle unserer Verteidigung genutzt wurde. Sogar zwischen den Haaren und auf die Lippen stachen die Monster. Also blieb als Rettung nur noch unser Zelt, welches glücklicherweise bereits aufgebaut war. Beim Betreten des hermetisch abgeriegelten Bereichs wurden höchste Sicherheitsstandards eingehalten und so konnte tatsächlich eine dünne und löchrige, aber sichere Barriere zwischen uns und den Blutsaugern gehalten werden. Nachdem sich geschätzte 10.000 Mücken zwischen unserem Innenzelt und Außenzelt gesammelt hatten, blieb kaum ein Zentimeter unbesetzt. Jeder Schlag gegen die Zeltwand schreckte die Tiere auf und hatte sofort ein dröhnend lautes Summen zur Folge. Selbst Stephen King hätte solchen Horror nicht erdenken können! Jede kleine Unachtsamkeit in Form einer Berührung des Innenzelts VON INNEN wurde mit einer saftigen Blutspende bestraft. Wir stellten uns einige überlebensentscheidende Frage: War wirklich kein einziges Loch im Innenzelt? Würden die Mücken am nächsten Morgen immer noch da sein? Und würde das Zelt unter der schieren Masse an Insekten nicht einfach zusammenbrechen? Nachdem wir uns mit einem Film ein wenig von unserer ausweglosen Situation abgelenkt hatten fielen wir alle irgendwann von unserer Angst völlig erschöpft in einen unruhigen Schlaf.

Nach der Schreckensnacht erwachten wir, immernoch umgeben von tausenden, wenn auch mittlerweile recht lethargischen, Mücken.

Jared, dessen Schlaf wohl kaum beeinträchtigt worden war, joggte beim ersten Wecker direkt motiviert aus dem Zelt. Bei mir brauchte es geschätzte sechs weitere Klingeltöne und Vincent lag auch noch im Zelt, als Jared und ich längst gefrühstückt, Kaffee getrunken, unsere Schlafsäcke und Isomatten gepackt und - in meinem Fall - das gesamte heute Journal gehört hatten. Als wir dann schließlich aufbrachen, knallte die Sonne bereits wieder mit voller Stärke auf uns und unsere Räder nieder. Gut für die PV-Anlage, schlecht für unsere Köpfe. Trotz Sonnenschein und spätem Aufstehen erreichten wir mittags einigermaßen rechtzeitig vor der maximalen Hitze nach etwa 40 Kilometern unseren Pausenplatz in Ustka. Dort fanden wir einen Spielplatz mit großem Pavillon, samt Bänken und Tischen. Sogar ein Wasserhahn war vorhanden, wodurch wir unser Trinkwasser nicht zum Nudeln kochen nutzen mussten. Mit getrockneten Tomaten, Feta, gerösteten Sonnenblumenkernen, frischen Tomaten, Paprika, Rucola und (je nach Gusto) Oliven gab es einen köstlichen Nudelsalat. Nachdem wir unsere Verdauungspause abgewartet hatten, arbeiteten wir noch ein wenig am Blog und warfen noch die eine oder andere Frisbee durch die Luft. Dank unseres Wasserfilters konnten wir noch alle Flaschen füllen und machten uns anschließend wieder auf den Weg. Die Strecke führte uns weiter entlang der Küste und durch den Ort Rowy. Dort wurden wir von einer Schranke und einem zugehörigen Kassenhäuschen mitsamt Kassierer überrascht. Uns wurde klar, dass der Eurovelo hier mitten durch den Naturschutzpark Narodowy führte. Um 21 Zloty erleichtert radelten wir also durch den naturbelassenen Wald vorbei an Kiefern, Birken und Farnen.

Etwa 20 km weiter hofften wir einen schönen Schlafplatz am Badesee zu finden. Der Weg dahin machte eine langsame aber stetige Entwicklung vom schönen Schotterweg zum anspruchsvollen Grasweg und schließlich zu einem langgezogenen, unbefahrbaren Sandkasten durch. Unsere Räder rollten nicht mehr orthogonal zur Nabe sondern rutschen parallel dazu, um dann im tieferen Sand komplett stecken zu bleiben. Hier war erstmals einige Minuten Schieben angesagt. Es sollte ein leichter Vorgeschmack auf die Misere des nächsten Tages werden...

Bräune oder Sand?

Was auf der Karte wie ein schöner Badesee aussah, entpuppte sich leider sich leider auch eher als Anglerparadies. Das Wasser war kaum 40 cm tief und trotzdem dunkel wie die Tiefsee. Unsere Enttäuschung darüber wich schnell, als wir mit einem jungen Belgier ins Gespräch kamen. Er fragte uns über unsere Tour aus und wir merkten schnell (auch an seinem Shirt mit Aufschrieb „cycle-the-world!“), dass er bei dem Thema wohl alles andere als unerfahren war. Auf unsere Nachfrage hin erzählte er, dass er mit zwei Freunden in vier Touren zu jeweils ca. drei Monaten einmal um die Welt geradelt sei. Dabei gingen die Routen von Amsterdam nach Togo, dann einmal quer durch Südamerika, bei der nächsten Tour von Singapur nach Peking und zum Schluss von Kirgisistan zurück nach Belgien. Nachdem wir uns eine Weile unterhalten hatten, erklärte er uns, dass er unweit an einem Wanderparkplatz mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern übernachte. Leider nicht mit Fahrrad und Zelt, sondern im komfortablen Campingbus - ein erster Schritt, um seine Frau auf den Geschmack zu bringen. Durch ihn ermutigt, beschlossen wir auch auf dem Parkplatz unser Zelt aufzuschlagen, obwohl ein großes Schild mit durchgestrichenem Zelt davor aufgebaut war. Über dessen Bedeutung sind wir uns immernoch nicht final einig geworden…

von Vincent Kliem
am 14.07.2021
Start
Wiselka
🇵🇱 Polen
Ziel
Kolobrzeg
🇵🇱 Polen
Strecke
85,85
km

Nachdem wir uns jetzt von Berlin bis an die Ostseeküste vorgeradelt haben, geht es jetzt entlang dieser durch Polen. Das weckt einige schöne Erinnerungen und Urlaubsgefühle bei mir, denn als Kind waren wir jahrelang mit der ganzen (polnisch stämmigen) Großfamilie im kleinen Küstenort Dźwirzyno im Urlaub. Gut kann ich mich noch erinnern, wie wir morgens um 4 Uhr mit dem Auto in Würzburg aufbrachen und über Berlin bis nach Polen fuhren. Dass man irgendwann nach Polen kam, merkte man vor allem am rhythmischen Klappern des Autos auf den aus einzelnen Betonplatten bestehenden Straßen. Auch wenn wir uns sehr auf die polnische Küste freuten, waren wir vorsichtig optimistisch was die Ausbaustufe der polnischen Radwege anging.

Radeln mit den Schweizern

So fuhren wir auf Usedom über die deutsch-polnische Grenze und auf einmal: wunderbare Radwege, gut asphaltierte Straßen, ausgeschilderte Fernradwege…

Spätestens als wir auf der Fähre durch den Swinemünder Hafen auf die Frage, was es denn kosten würde, die Antwort bekamen „It‘s free“, war der erste Eindruck perfekt. Doch auch wenn sich vieles getan hat in den letzten 20 Jahren, erinnerte mich vieles an die Urlaube hier: Die Kettcars, die Airhockey-Tische und die Ramschläden an jeder Ecke in den Urlaubsorten gibt es noch. Wir fuhren durch den Nationalpark Wolin und in den Ort Wiselka, wo wir spontan eine wunderbare Pension mit Garten fanden, wo wir unsere Akkus und die unserer Geräte aufladen konnten.

Am nächsten morgen ging es weiter an der Ostseeküste entlang. Nach wenigen Kilometern trafen wir eine nette Gruppe Schweizer, mit denen wir ins Gespräch kamen und einige Kilometer gemeinsam fuhren. Für Sie ging die Route von Hamburg aus bis nach Tallin. Das absolute Highlight ihrer Ausrüstung war die auf den Gepäckträger gespannte Angel, ideal für den Ostseeradweg. Warum hatten wir diese Idee nicht?

Wir tauschten Handynummern aus und verabschiedeten uns mit der Gewissheit, dass wir uns bestimmt auf dem Weg noch einmal begegnen werden. Bei einer ausgiebigen Käsebrotpause trainierten wir auf dem Schotterweg vor unserer Bank den Frisbee-Skip-Shot. Dabei stellt der Werfer die Frisbee unter einem bestimmten Winkel an. Die Frisbee springt dadurch vom Boden wieder hoch. Der Fänger läuft von seiner Ausgangsposition 20 Meter und sucht die Frisbee im Gebüsch… naja, wir üben noch!

Nach der Pause und dem verzweifelten Versuch das Schrumpfen unserer Armmuskulatur durch Frisbeesport zu verlangsamen, kamen wir in ein furchtbares Unwetter. Da wir mit dem Anziehen der Regenmontur zu zögerlich waren und eh alles nass war, hielt uns nichts mehr davon ab einfach durch den Regen und das Gewitter durchzuballern. Auf unserem Weg waren eh schon alle Schutzhütten, die es übrigens in Polen entlang der Radwege zu Hauf gibt, mit flüchtenden Radler*innen besetzt.

Nach einer guten Stunde verzog sich das Unwetter und wir suchten uns einen Platz auf den Dünen zum pausieren und baden.

Unsere Hütte von damals (2001)

Schließlich kamen wir nach Dźwirzyno. Zuletzt war ich hier vor etwa 15 Jahren und so viel hatte sich garnicht verändert. Am Hafen gönnten wir uns sehr leckeren geräucherten Fisch. Anschließend mogelte ich mich vorbei am Pförtner auf die Ferienanlage, auf der wir früher Jahr für Jahr im Urlaub waren. Es hatte sich absolut garnichts verändert, nur das alles tatsächlich viel, viel kleiner war, als in meiner Erinnerung. Das „riesengroße Basketballfeld“ hatte nicht einmal annähernd Normalgröße und unser altes Ferienhaus war eher eine kleine Hütte.

Am Gofrystand vor der Anlage gönnten wir uns noch leckere Waffeln und fuhren noch ein Stückchen weiter, bis wir ein abgelegenes Stückchen Strand fanden, an dem wir unser Zelt aufschlagen konnten.