#MVP
von Jared Faißt
am 03.08.2021
Start
Häädemeeste
🇪🇪 Estland
Ziel
Tootsi
🇪🇪 Estland
Strecke
84,86
km

Nachdem wir eine sehr erholsame Nacht auf weichem Waldboden in instabilem Zelt verbracht hatten, frühstückten wir zuerst gemütlich und berieten uns dann über den weiteren Verlauf der Reise. Zuerst zum Zelt: am Abend vorher prüfte ich nochmal die bereits angebogenen stangensegmente und fand erschreckenderqeise etwa an jeder 2. Verbindungsstelle bereits kleine Risse. Im Moment des Aufbauens brach dann auch tatsächlich die obere Querstange. Wir hatten zum Glück noch eine Hülse, die wir für die Bruchstelle verwenden konnten, jedoch durfte jetzt nichts mehr passieren. Wir kontaktierten zwar nochmal Salewa aber es war schnell klar, dass wir in unter 4 Tagen keine Hilfe in Form eines Ersatzgestänge erwarten können. Wir beschlossen daher im Baumarkt Hilfe zu suchen. Weiter ging die Planungssession mit dem Verlauf der Reise. Zur Wahl stand

  1. Estlands Küstenlinie weiterfahren (600-700 km) mitsamt den 2 Hauptinseln und ab Tallinn mit dem Bus zurückreisen.
  2. Direkt nach Tallinn fahren (150 km) und weiter mit der Fähre nach Helsinki übersetzen. Von dort in 3 Tagen nach Turku radeln, wo wir die Fähre nach Stockholm nehmen könnten. Ab da könnten wir noch 4 Tage in Schweden nach Süden radeln.

Wir entschieden uns mit Einbezug der Rückreise Annehmlichkeiten und der Neugierde nach Finnland für Option 2 und buchten schon mal so einiges (Fähren und Busse), um schon mal Frühbucherrabatte zu sichern. Nach diesem überaus produktiven aber langem Vormittag radelten wir nordwärts erstmal in Richtung Baumarkt. Glücklicherweise wird in Estland sehr oft Englisch verstanden und auch gesprochen und so konnte ich dem Baumarktmitarbeiter recht schnell das Zeltproblem schildern. Ich zeigte ihm die Hilfshülse und er holte kurzerhand ein ähnlich dickes Alurohr und sägte es mir in 7 Stücke. Nun können wir uns also 7 weitere Stangenbrüche erlauben bis zum Reiseende ;-). Für die unkomplizierte Hilfe daher den verdienten Titel:

MVP des Tages: Baumarktmitarbeiter

Wir radelten anschließend weiter auf deutlich direkterer Route nach Tallinn als mal ursprünglich gedacht. Genau deshalb hatten wir jedoch noch eine lustige Begegnung. Wir waren bereits nach 21:00 Uhr noch auf den Straßen unterwegs auf der Suche nach einer schlafbaren Ecke, da kamen uns noch zwei sehr sportlich ausgestattete Gravelbikes mit ebenso sportlichen Fahrern über den Weg. Bei ihrem Überholmanöver plauderten wir noch kurz (den typischen Radreiser-Smalltalk). Während der anführende Italiener nach einem kurzen Gruß weiterradelte, blieb die deutschsprachige Radlerin noch kurz neben uns und erzählte, dass sie ebenfalls von Italien gestartet seien und zwar am Gardasee. Auf die Frage wieviele Kilometer sie am Tag so mache antwortete sie mit 300 und wir waren kurz sprachlos. Aus Ehrfurcht wollten wir sie daher nicht länger aufhalten aber wir waren doch sehr angefuchst, was es mit dieser krassen Ausdauerleistung auf sich hat. Wir legten uns bald danach ins nächstbeste Feld und begannen zu recherchieren. Schnell wurde ersichtlich, dass es sich hierbei um das Radrennen Northcape4000 handelt.

Live-Tracking der Teilnehmer

Dabei radeln dieses Jahr etwa 180 Teilnehmer die Strecke vom Gardasee ans Nordkap mit reiner Muskelkraft. Gestartet sind die Mitstreiter erst am 24. Juli (!!) und der erste war im Moment unserer Recherche bereits seit wenigen Minuten im Ziel.. Zeit: 10 Tage und 9 Stunden, absoluter Wahnsinn! Die Webseite zeigt alle Teilnehmer mit ihrer letzen übertragenen Position auf einer Karte an, daher konnten wir auch recht schnell unsere Begegnung identifizieren. Es handelte sich um die Extremsportlerin Sara Hallbauer, die übrigens einen sehr lesenswerten Blog schreibt. Dort geht es neben krassen Touren auch um die Basics von Bikepacking und ist daher sehr zu empfehlen für Interessierte an dieser Sportart bzw. an diesem Lebensstil, je nach Dauer ;-). Den Blog findet ihr hier.

Wir machten es uns also mal wieder zwischen Heuballen gemütlich und während wir das Abendessen in den Startlöchern hatten, schauten wir schon gespannt mit Blick auf die Straße, wann der nächste Nordkap Competitor vorbeiradeln würde. Ein Stück weit war es auch etwas seltsam die gläsernen Radfahrer so verfolgen zu können aber es hat uns auch sehr viel Freude bereitet so nahe an diesem Wettkampf zu sein. An diesem Abend fiel es uns auch dann wie Schuppen von den Augen, als wir uns erinnerten, dass wir an diesem Tag von der Seite zugerufen bekamen ob wir ans Nordkap fahren würden und wir dann ausweichend erklärten: Ne, also erst Tallin, dann Helsinki, dann….. aber in diesem Moment wussten wir noch nichts von diesem Rennen. Wir nahmen es im Nachhinein als Kompliment, dass man uns optisch so eine Extremleistung mit unseren 50kg Rädern zugetraut hätte.

Schlafplatz mit Blick auf die Rennstrecke

Die Sonne kroch an diesem Abend zwar lange am Horizont, aber der kristallklare Himmel sorgte schnell für eine ordentliche Kälte. Vincent widmete sich noch der Sternenfotografie, während Moritz und ich uns schon einmal im Zelt einkuschelten. Es wurde alles ausgekramt, was die Wärmeabteilung zu bieten hatte: Von Skiunterwäsche bis zur Fließjacke. Am nächsten Morgen war ich dann wieder recht früh auf und genoss die ersten Sonnenstrahlen während ich Kaffee und Porridge richtete. Kurz später saßen wir dann vollständig vor dem Haferbreigemisch und schaufelten im Bottich während wir erneut auf das Nordkap Rennen schielten und die nächsten vorbeifahrenden Radler im Voraus identifizierten. Komplett unbemerkt schlich sich in diesen Minuten hinter uns ein ordentlicher Schauer heran, den wir garnicht auf dem Schirm hatten. In Windeseile wurde das Zelt eingepackt und alles wichtige verstaut. Das restliche Frühstück wurde dann in voller Regenmontur verspeist. Das wechselhafte Wetter in Estland hat uns schon zu so einigen Regenzeug An- und Auszieh-Pausen gezwungen. Schließlich ging es auch für uns wieder auf die Räder.

Frühstück im morgendlichen Schauer

An diesem Tag führte uns die Strecke abseits von den Autobahnen in der Mitte des Landes Richtung Tallin und war insgesamt sehr schön zu fahren. Ein Highlight war dann erneut wieder ein top bewerteter Discgolfkurs, den wir uns nicht entgehen lassen wollten. Man muss dazu sagen, dass Estland ein absolut Discgolf verrücktes Land ist. Estland ist nur ein wenig größer als Baden Württemberg aber die Discgolfkursdichte ist um ein Vielfaches höher. Daher können wir hier auch etwas wählerischer sein als in unserer Heimat.

Discgolfdichte im Direktvergleich

Abends steuerten wir wieder einen RMK Platz an, ein wirklich fantastisches Konzept für Reisende wie uns. Mithilfe einer App kann man geeignete Nächtigungsmöglichkeiten in freier Natur finden, absolut empfehlenswert. An unserem ausgesuchten Spot konnten wir dann bequem unser Zelt hinstellen und ein paar Bänke mit Tisch, sowie ein Zugang zum Fluss rundeten die Nachtstätte ab. Auch diese Nacht forderte wieder die gesamte Garderobe heraus….

Start
Neuburg am Inn
🇩🇪 Deutschland
Ziel
Engelhartszell
🇦🇹 Österreich
Strecke
46,4
km

Am Morgen freuten wir uns besonders darüber, dass unsere Ferienwohnung von der Familie des lokalen Edekas geführt wurde, der auch direkt gegenüber lag. Ein Edeka mit Ferienwohnung, wo gibt‘s denn sowas?

Einen weiteren Endorphinschub erhielt Jared, als wir an der Kasse die Alnaturariegel fanden. Wir langten natürlich kräftig zu!

Wir rollten in Richtung Passau los, doch Jared merkte schnell, dass eine längere Etappe auch heute nicht möglich ist. Daher entschlossen wir uns, eine Ferienwohnung für zwei Nächte zu buchen, um uns allen etwas Erholung zu gönnen. Erstaunt stellten Jared und ich fest, dass wir nun seit dem Besichtigungstag in Rom jeden Tag durchgefahren sind.

Wir fanden eine kleine Ferienwohnung in Engelhartszell an der Donau bei Familie Huber.

Bevor wir uns auf den Weg dorthin machten, nutzten wir die Vorzüge einer Stadt wie Passau um einige Erledigungen zu machen. Wir ließen uns PCR- und schnell-testen, besorgten neue Kartuschen für unsere Kocher, Ersatzteile für die Fahrräder und suchten vergeblich nach einer neuen Frisbee.

Besonders beeindruckte uns der Zusammenfluss von Donau und Inn mit ihren unterschiedlichen Farben und Temperaturen. Der gelernte Kreisliga-AbräumerJared grätschte beim Versuch die Temperatur zu erfühlen mal eben „ohne Rücksicht auf Verluste“ mit den Stollen voraus in die Donau rein, was ihn dazu zwang den restlichen Tag in Flip-Flops zu fahren.

Zusammenfluss von Inn und Donau

Wir rollten entlang der Donau in Richtung Österreich. Bei einer kleinen Badepause trafen wir unseren

MVP des Tages: unbekannt

Bei der Badestelle trafen wir einen freundlichen Mann, der sich gerade selbst zu einer kleinen Radtour aufmachen wollte. Wir kamen etwas ins Plaudern und erzählten von unserer Route. Nachdem wir uns eigentlich schon verabschiedet hatten, kam er noch einmal mit einigen Scheinen bewaffnet auf uns zu und drückte uns mal eben 100€ (50€ für die Spendenprojekte- 50€ für uns) in die Hand. Nachdem wir perplex mehrfach nachfragten, freuten wir uns natürlich riesig über diese Spende.

Nachdem wir unsere voll beladenen Räder über ein Wehr mit 90 Stufen geschleppt hatten, waren wir wieder zurück in Österreich und direkt an unserer kleinen Ferienwohnung bei der netten Familie Huber. Wir ließen den Abend mit Skat und EM ausklingen und freuten uns schon auf den morgigen freien Tag.

von Jared Faißt
am 02.06.2021
Start
Roma
🇮🇹 Italien
Ziel
Capranica
🇮🇹 Italien
Strecke
66,99
km

Wir verließen Rom in den Vormittagsstunden und kämpften uns durch den Verkehr in Richtung ländliche Region. Mit Abnahme der Straßenqualität nahm zumindest die Verkehrsdichte ebenfalls ab und die Schönheit der Landschaft nahm zu. Da wir als nächstes größeres Ziel den Urlaubsspot von Vincents ehemaligem Lateinlehrer in Monte Fiascone im Visier hatten und die Strecke sowieso zu lang wäre für eine einzelne Etappe gingen wir es insgesamt eher gemütlich an... Fast zu gemütlich. Als wir dann um halb 8 erst den Abendeinkauf erledigten und uns noch mitten in sehr bergigem Gebiet befanden, merkten wir, dass die Schlafplatzsuche jetzt dringend beginnen muss. Das Gebiet war bis auf die Siedlungen eher dicht bewaldet und vereinzelt landwirtschaftlich genutzt. Bei einer Baumplantage (Frucht keine Ahnung) fragten wir schließlich den Farmer mit der Hoffnung dass er uns einfach zwischen den Baumreihen schlafen lassen würde. Dieser überlegte jedoch kurz und schickte uns schließlich 200 Meter weiter und dann auf eine Schotterstraße die angeblich zu einem Casa führt, in dem wir schlafen könnten. Etwas verwundert folgten wir dem Ratschlag und waren beinahe schon zufrieden mit dem Wald, in dem wir uns kurze Zeit später dann befanden. Das Casa weckte aber doch noch etwas Neugier in uns und so radelten wir weiter bis wir an eine gewaltige Hofeinfahrt mitten im Wald gelangten.

Das Casa Grande

Verunsichert passierten wir das geöffnete Stahltor und gingen die sehr lange Allee hinunter zum Anwesen. Katha summte Hotel California vor sich hin, wir wussten noch nicht, wie sehr Recht sie damit haben wird. Dort bemerkten wir zuerst ein riesiges Haus, das jedoch komplett verschlossen war. Daneben war eine ebenfalls riesengroße Wiesenfläche, die super zum Campen geeignet gewesen wäre. Wir versuchten noch jemanden dort zu finden und liefen schließlich zum kleineren Haus dahinter hinunter. Dort wurde Vincent dann jedoch direkt von Wachhunden in Empfang genommen und zurückgebellt. Soeben ertönte ein Pfiff und ein älterer Mann names Alfonso beruhigte die Hunde damit direkt. Da er kein Englisch verstand, zeigten wir ihm auch wieder einmal unseren vorgefertigten Text. Während er laß, gab er bereits einen Daumen hoch (ich vermute was die Spendenaktion betrifft... an dieser Stelle schon mal ein herzliches Dankeschön an alle, die sich bereits beteiligt haben!!). Danach führte er uns zu der Wiese und signalisierte uns, dass wir da schlafen dürfen. Er zeigte uns auch ein Badhäuschen, das wir nutzen können. Während er uns alles erklärte, überlegte er doch noch einmal kurz und fragte schließlich ob wir im Casa grande schlafen wollen. Es sei ‚no problemo‘. Wir willigten ein und kurze Zeit später standen wir in dieser riesigen Herberge, die wohl sonst für Pfadfinder Aktionen oder ähnliches genutzt wird. Wir durften die Küche mit Gasherd, sowie sogar warme Duschen verwenden und an Schlafplatz mangelte es ebenfalls überhaupt nicht. Voller Freude und etwas fassungslos, wieviel Glück wir mal wieder hatten, machten wir es uns bequem und starteten mit dem Abendessen.

Wenig später kam sein Sohn Sandro vorbeigefahren und erkundigte sich, ob wir noch irgendwas benötigen. Da Sandro sehr gut Englisch spricht, konnten wir uns bestens unterhalten. Er zeigte uns auch nochmal alles wichtige und versicherte uns, dass wir ihn jederzeit anrufen können, wenn wir noch was brauchen. Schließlich fuhr er wieder fort und Alfonso kam nochmal herein. Er bemerkte, dass wir bereits Nudeln im Kochwasser und Zucchini in der Pfanne hatten. Er fragte uns etwas mir ‚Carne‘ (Fleisch) aber wir signalisierten ihm ‚tutto bene‘. Das schien ihn wohl nicht zufrieden zu stellen und etwa 30 Minuten später kam er wieder mit einem Gitter voll gegrilltem Fleisch und Brot und 3 Bier.

Kleiner Zusatz von Katha:

Wir hatten das Angebot, dass Alfonso uns Carne bringt, zwar mit Worten abgelehnt, aber Jareds Augen sprachen wohl eine andere Sprache, die Alfonso bestens verstand. In der zweiten Woche noch stolz beteuert, dass er bis jetzt zu 100% vegetarisch unterwegs ist, fiel Jared wie ein wildes Tier über das zähe Fleisch her (Vincent und ich haben uns an Tag 4 eine Salami gegönnt). Soviel dazu. Nachdem wir unsere Vitamin B-12 Speicher wieder aufgefüllt hatten, konnten wir wieder zu unserer gewohnten vegetarischen Kost zurückgehen und verdrückten noch die Zucchini-Nudeln.

Wir waren sprachlos an dieser Stelle und wussten nicht so recht, wie wir uns so eine Gastfreundschaft ohne gescheite Kommunikationsmögichkeit überhaupt verdient haben. Ohne Frage geht natürlich folgende Auszeichnung an diesen herzlichen Menschen:

MVP des Tages: Alfonso

Nachdem wir also mal wieder über den Hunger gegessen hatten, legten wir noch eine abendliche Sportsession in Form von improvisiertem Tischtennis ein. Eine warme Dusche später schliefen wir auch schon hervorragend inmitten dieser Naturoase. Am nächsten Tag konnten wir unser morgendliches Porridge sogar mit frisch reifen Kirschen vom Kirschbaum erweitern und verließen nachdem wir alles gepackt hatten mit wehmütigem Herzen das Anwesen um nach Montefiascone weiterzureden.

von Jared Faißt
am 31.05.2021
Start
Borgo Grappa
🇮🇹 Italien
Ziel
Rom
🇮🇹 Italien
Strecke
92,55
km

Heute hatten wir mal wieder eine Menge vor. Leider hatte Vincent‘s iPad (was wir nutzen, um den Blog zu betreiben) einen Riss im Bildschirm bekommen ohne Fremdeinwirkung und die 1-Jahr Garantie läuft tatsächlich in genau 5 Tagen ab. Daher wurde schleunigst der nächste Apple Store in Rom anvisiert. In Rom selbst wurde auch gleich ein Camping Platz für 2 Nächte gebucht, damit wir uns noch einen freien Tag in dieser imposanten Stadt genehmigen können. Dank wegfallender Schlafplatzsuche konnte der Tag dann auch etwas entspannter angegangen werden. Die erste Lektion, die wir aber an unserem heutigen Schlafplatz am Strand vor Latina gelernt haben ist

Sand ist nicht gleich Sand!

Bisher hatten wir recht erfolgreich an Stränden genächtigt, ohne größere Probleme mit den Sandkörnern zu bekommen. Jedoch war der Sand bisher auch meist eher grobkörnig, was die Entledigung dieser Steinchen vorm Zelteinstieg natürlich enorm erleichtert. Dieses Mal mussten wir feststellen wie zäh sehr feiner Sand in dieser Hinsicht sein kann. Wir haben ihn kaum von unseren Töpfen klopfen können und auch nicht von unseren Füße anständig abgerubbelt bekommen.. der Sand war einfach überall. Wir sind daher am Morgen direkt zum benachbarten See rübergerollt, um dort die sandigen Sachen noch einigermaßen zu reinigen und mit dem übrig gebliebenen Wasser noch ein Porridge zu richten. Gestärkt und halbwegs sauber ging es dann los durch Latina weiter Richtung Rom. Ziemlich genau auf halber Strecke legten wir die Mittagsrast ein. Wir wählten recht willkürlich einen Parkplatz neben einer maroden Halle, bei der ein Baum etwas Schatten spendete. Wie üblich mittlerweile wurde Tomaten mit Knoblauch auf angebratenem Baguette gevespert. Ab und an konnte man ein seltsames Knallgeräusch in der Halle vernehmen. Als wir einen vorsichtigen Blick durch die Gitterfenster warfen, erkannten wir auch ein paar Kugeln darin, mit denen geworfen wurde und es erinnerte stark an das Spiel Boule.

Espresso schlürfen in der Bocce Halle

MVP des Tages: Präsident

Nachdem wir uns satt gegessen hatten und gerade zusammengepackt haben, kam ein Mann heraus und erkundigte sich nach unserer Reise. Ich erklärte ihm, wieviel Kilometer wir so täglich machen und was heute noch ansteht und das geht mittlerweile komischerweise auch auf „italienisch“ ganz gut. Der Schlachtplan für solche Konversationen ist dann immer fieberhaft zu versuchen, Wörter aufzuschnappen, die es im spanischen, französischen oder Latein gibt und sich dann zusammenzureimen, was dem Gegenüber wohl gerade durch den Kopf schwirrt. Er bot uns anschließend einen Espresso in der Vereinshalle an und erklärte uns, dass es sich hier um Bocce handelt (deutsch gesprochen: Bodschia.. oder so). Die ganzen Trophäen auf den Regalen und das professionelle Equipment deuteten daraufhin, dass es sich nicht (wie ich dachte) rein um einen Aldi-Aktions Sport handelt, der sonst immer beim Campingurlaub zu finden ist. Die Bahn beim Bocce misst in etwa 30m mal 3m und besteht aus asphaltiertem Untergrund. Unsere Lust auf eine Runde zocken war uns wohl anzusehen und schließlich forderte der Präsident uns dann auch zu einer Runde heraus. Wir waren anfangs erstaunt wie wenig Schwung der Kugel mitgegeben wird, aber sie rollt natürlich auch umso besser auf dem harten und ebenen Untergrund. Nun war es also an uns seiner ersten Kugel nachzuziehen. Während Katha wohl noch zu viel Power in den Armen hatte, hat Vincent sich schon deutlich besser angenähert. Ich durfte dann als Abschluss der ersten Runde meine Kugel werfen und wurde eine halbe Sekunde nach Abwurf direkt mit Bravos des Präsidenten gelobt, der sicher schon mit all seiner Erfahrung direkt wusste, dass ich tatsächlich näher an die kleine Kugel kommen werde. Stolz forderte ich natürlich sofort ein Foto ein. Mein direkter Triumph hat ihn wohl aber auch etwas gekränkt und er murmelte etwas von „Fortuna ...“, was vermutlich irgendwas mit Anfängerglück meinte.

Schnell holte er die Kugeln wieder zurück und zwang uns zu einer zweiten Runde. Dieses mal hatten wir alle etwas weniger Fortuna und die Nervosität trieb die Kugeln dieses Mal deutlich weiter nach hinten. Feiernd nötigte er mich dazu, auch davon ein Bild zu machen... also hier ist auch das zweite Resultat.

Anschließend verabschiedeten wir uns von ihm und machten uns auch die zweite Hälfte der heutigen Etappe. Der Verkehr nahm immer mehr zu und irgendwann waren wir dann tatsächlich am Ortsschild von Roma. Wir hielten kurz inne und waren allesamt sehr happy, diesen Meilenstein erreicht zu haben. Wir steuerten dann ziemlich direkt den Apple Store an, um, wenn möglich, Vincent‘s iPad noch umzutauschen. Angekommen vor der rieseigen Mall, versuchte Vincent alles ihm mögliche zu tun, um sich vom verlotterten Reiseradler in einen seriösen Applekunden zu transformieren, dem man abnehmen konnte, dass er pfleglich mit seinem Equipment umging. Wir taten unser bestes und legten unsere schicksten Sachen zusammen. Vincent bekam meine beste Hose mit nur einem Fleck, festes Schuhwerk, Fingernägel wurden nochmal geschnitten und das Halstuch wurde lieber versteckt. Seriös sahen wir immer noch nicht aus, aber unsere Chancen standen sicherlich schon etwas besser. In der Mall musste zuerst der Apple Store gefunden werden. Wir wurden nach einer Weile rumlaufen auch fündig und begegneten dort unserem 2. MVP des Tages:

MVP 2 des Tages: Apple Mitarbeiter

Ohne Termin und obwohl bis am nächsten Tag auch kein Zeitslot mehr frei gewesen wäre hat ein gnädiger Apple Mitarbeiter uns doch noch unserem Problem angenommen und das iPad direkt ersetzt. Wir alle, aber vor allem Vincent war sehr erleichtert, da eine Displayreparatur eigentlich schon Totalschaden bedeutet bei diesem Gerät.

Wir steuerten mit letzten Kräften den Campingplatz in Rom an und bezogen dort nach zuvor 3 Strandnächten mal wieder ein kleines Bungalow. Am nächsten Tag wollen wir die Räder mal wieder ruhen lassen und uns Rom anschauen gehen.

von Katharina Eberle
am 28.05.2021
Start
Sorrent
🇮🇹 Italien
Ziel
Cuma
🇮🇹 Italien
Strecke
78,63
km

Die Strecke hinter Sorrent war gar nicht nach unserem Geschmack und Neapel, wo wir vorbeifuhren, auch nicht. Überall lag Müll herum und der Verkehr war laut. Die Straße bestand zu einem großen Teil aus Kopfsteinpflaster, was auf Dauer super nervig ist. Und sogar unsere Barpause war nicht entspannt, sondern hat uns weitere Nerven gekostet. In einem Café namens „Antistress Bar“ bestellte Vincent wie immer „3 Cappuccini“. Als ich vor dem Eintreffen der Kaffees auf die Toilette ging, fragte mich die Frau hinter der dem Tresen, ob ich „Cappuccino grande“ möchte. Ich war zwar ein wenig verwundert, weil was soll in Italien denn bitte „Cappuccino grande“ sein, aber dachte, dass Vincent das sicher bestellt hat und bejahte ihre Frage also (Alles natürlich auf halb Englisch, halb Italienisch, was die Kommunikation eh immer schwierig macht). An unseren Tisch wurde schließlich ein Longdrink-ähnliches Gefäß gebracht mit sehr viel Milch darin und wohl einem einfachen Espresso. Die Bedienung brachte noch eine Untertasse hinterher, die verdächtig danach aussah, als wäre sie die Untertasse von einer stinknormalen Cappuccinotasse. Es war viel zu viel und schmeckte nicht besonders gut. Als ich zahlen ging, standen in der Bar plötzlich ungefähr 6 weitere männliche Bedienstete, die davor noch nicht da waren und pro Cappuccino wurden 5€ verlangt. Normalerweise kostet der Spaß für 1 Tasse 1,50€. Auch Vincents Nachfrage nach einer Preisliste, die sie „wegen Corona“ nicht hatten, half uns nicht weiter. Sehr wütend darüber, dass wir reingelegt wurden, fuhren wir weiter und konnten das Radfahren erstmal nicht genießen. Das war nicht so schlimm, weil Neapel sowieso hässlich ist. Nach ca einer halben Stunde hielten wir dann trotzdem an und legten eine kleine Boxpause ein mit Vincents Fahrradtasche als Boxsack, um unsere Wut hinter uns zu lassen. Das war zwar nur halb professionell (fast hätte es eine Verletzung gegeben dabei), half aber.

Katha lässt ihrem Frust freien Lauf

Abends hatten wir Glück, denn auf dem Weg zum Strand befanden wir uns plötzlich mitten auf einem Reiterhof. Eine Frau und ihr Sohn erlaubten uns, im direkt angrenzenden Wald zu schlafen. Morgens war Jared schon früh wach, weil er von einem seltsamen Geräusch geweckt wurde, welches sich regelmäßig wiederholte. Als er beschloss, aufzustehen und sich die Sache näher anzuschauen, erkannte er, dass das Geräusch von Pferderennwägen kam, die à la Asterix und Obelix durch den Wald düsten. Doch zum Glück schien es niemanden zu wundern, dass wir im Wald geschlafen hatten. Wahrscheinlich ist der gesamte Reiterhof schon vorgewarnt worden. Wir hingegen waren schon etwas verwundert über die vielen Rennfahrer im Wald. Den Tag über fuhren wir zur Abwechslung mal Fahrrad. Die Landstriche, die wir dabei kreuzten waren vor allem von Armut und Müll geprägt. Trotzdem fanden wir auch mal einen schönen Strand für eine Pause.

MVP des Tages: Unbekannt

Um 17.00 beschlossen wir, dass wir mit unserer sportlichen Leistung für den Tag zufrieden waren und verbrachten den Abend in einer Bar mit zuerst Kaffee, dann Bier. Wir freuten uns unglaublich darüber, dass die Barbesitzerin nach einiger Zeit an unseren Tisch kam und uns mitteilte, dass ein uns unbekannter Mann ungefragt unsere Rechnung übernommen hat. Sie richtete uns von ihm ein „Welcome to Italy“ aus und der MVP des Tages winkte noch kurz vor dem Losfahren aus dem Autofenster. Lustigerweise betrug die Rechnung dank den „Birre GRANDE“, die Jared uns bestellt hatte, genau 14,70€, was ungefähr dem Betrag entsprach, den wir am Tag vorher im Antistress-Café „verloren“ hatten. Die Freude war vor allem so groß, weil wir mitterweile aufgrund dieser blöden Maschen in den Bars und Cafes dazu tendierten, immer überversichtig nachzufragen, was wieviel kostet und ob es überhaupt eine Preisliste gibt ohne dass wir einfach mal entspannt Cappuccino schlürfen konnten... Nun war das zum Glück wieder vergessen und Italien war wieder zum Genießen.

Auch der Schlafplatz in einer einsamen Bucht war hervorragend. Als es dunkel war, waren sogar viele Glühwürmchen zu sehen. Die Bucht blieb leider nicht die ganze Nacht einsam, denn um ca. 1 Uhr nachts kamen Angler, die tatsächlich angeln wollten und selbst zu dieser späten Stunde noch angeregt ein Schwätzchen hielten. Sie blieben die ganze Nacht und gingen morgens wieder nach Hause, als wir unser Zelt zusammenpackten. Wirklich sehr seltsam.. Vielleicht gibt es Nachts größere Fische zu fangen. Das meinte zumindest Jared.

Unsere Schlafbucht